Aktion Mensch gewinnt … nicht



Bei diesem Beitrag handelt es sich um das Blog-Archiv eines Threads auf Twitter.
Er wurde mit allen darin enthaltenenen (Tipp- und Rechtschreibe-) Fehlern übernommen.
Inhalte können inzwischen veraltet oder überholt sein.
Der Beitrag sollte immer im Kontext der Ereignisse gelesen werden, in dem der ursprüngliche Thread auf Twitter entstand.

🧵 Hab mir gerade das Video von @dramapproved, @ValkyriaRogue und @luisalaudace auf Instagram angesehen, in dem sie in den Dialog mit der @aktion_mensch zu deren Werbeinitiative #NurIhrGewinnt & #OrtefürAlle gehen, die leider mal wieder auf vielschichtige Weise ins Klo gegriffen hat.

Erst mal vielen Dank an @dramapproved, @ValkyriaRogue und @luisalaudace, dass ihr da eure Standpunkte sehr nachdrücklich vertreten habt, die zu einem guten Teil auch meine sind.

Ich bin noch nicht ganz fertig damit, das Video anzuschauen, aber ich möchte auf einen Aspekt eingehen, der angesprochen wird, aber zumindest im ersten Teil nicht genug Beachtung bekommt.

Und zwar blicke ich da aus der Perspektive einer Person drauf, die mit Sprache arbeitet und zwar in dem Spannungsfeld, in dem es darum geht Desinformation zu verhindern und gegen Desinformation vorzugehen und in dem versucht wird mit Framing die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

Kurze Zusammenfassung, um was es eigentlich geht: Es geht um die Kampagne der Aktion Mensch, die auf die mannigfaltigen Barrieren im Alltag, z.B. in Unternehmen, aufmerksam machen soll: Orte für Alle

Vor allem geht es um den zentralen Slogan der Kampage „Menschen haben keine Behinderung. Orte schon.“

Ich weiß, unter meinen Followern sind genug Linguisten und Medienarbeiter, bei denen nun bereits das Lid zu zucken beginnt. Aus guten Gründen.

Es wurde auch auf Twitter schon ausführlich Kritik geübt. U.a. auch von @QuerDenkender. Meist mit dem Fokus darauf, dass hier fast alle Behinderungen exkludiert werden, bei denen nicht die Mobilität eingeschränkt ist.
Die Kritik teile ich, aber das ist heute nicht mein Punkt.

Beschäftigt man sich mit Kommunikation, die effektiv in der Lage ist, gegen Desinformation aufzuklären, kann man das auf ein paar wichtige Kernpunkte herunterbrechen:

  • die zutreffende Aussage (der Debunk) muss immer an erster Stelle stehen.
  • jede Wiederholung einer Falschaussage ist in der Lage diese zu verstärken und dadurch in den Köpfen ‚wahr‘ werden zu lassen.
  • der erste Teil einer Botschaft ist immer der Stärkere und im Zweifel auch der (einzige) Teil, der im Gedächtnis hängen bleibt.

Was die @aktion_mensch hier eigentlich sagen wollte, so erklärte es @70Marx im Gespräch war: Hört mal, der Alltag ist voller Barrieren, lasst uns die doch mal gemeinsam abbauen.

Aber was sagen sie statt dessen? „Menschen haben keine Behinderungen“.

Und ja, ich lasse „Orte schon“ hier bewusst weg. Weil dieser kleine Nachschub, der nicht mal ein vollständiger Satz ist, der reisst es wirklich nicht raus.

Was sie mit ihrer Kampagne sagen und es wieder und wieder und wieder zur Prime Time im Fernsehen und wohl auch auf TikTok läuft, ist: „Menschen haben keine Behinderungen.“

Man habe provozieren wollen, sagt Christina Marx, und das ist bereits Teil des Problems.

Provokation funktioniert in der Breitenkommunikation nicht. Wenn man sich eben nicht an eine enge Zielgruppe richtet, bei der man weiß, dass die das schon richtig versteht, sondern an alle.

Damit auch an Menschen, die sich für das Thema nicht interessieren und die geistig abschalten, sobald eine Person mit Behinderung auf dem Bildschirm zu sehen ist. Solange sie nicht auch umschalten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dennoch ein zentraler Satz hängen bleibt:

„Menschen haben keine Behinderungen.“ ¯\_(ツ)_/¯

Wenn ich als Möp mit begrenzter Reichweite das Stilmittel der Provokation benutzte ist das eines. Wenn sowas ein millionenschweres Wohlfahrtsunternehmen mit Reichweite und (fragwürdig) guter Reputation tut, etwas anderes.

Ich habe im letzten Jahrzehnt keine einzige größere Werbekampagne gesehen, die Provokation geschickt und unfallfrei nutzen konnte, ohne dabei bis zur Achselhöhle ins Klo zu greifen.

Frau Marx verteidigt auch eine Umfrage, in die ich nun keinen Einblick habe, in der sie die Rückmeldung bekamen, dass die Botschaft schon richtig angekommen sei.

Ja, much News. Eine Umfrage bei der Menschen freiwillig ihre Zeit investierten, in der sie sich das Video vollständig und aufmerksam ansahen und hinterher darüber reflektierten, was sie da gesehen und mitgenommen haben.

Das ist nicht die Mehrheit der Menschen, die eine solche Kampagne erreicht. Die Mehrheit der Menschen, die von der Kampagne erreicht werden, hört nun wiederholt die Botschaft: „Menschen haben keine Behinderungen“.
Finanziert durch Spendengelder.

Spendengelder, die die Situation von Menschen mit Behinderungen verbessern sollen – auf deren Verwendung Menschen mit Behinderungen aber fast keinen Einfluß haben.

Man habe sich auch Stimmen von Selbstvertretern geholt, sagt Frau Marx.
Auch für diese Art von Tokenismus wird die Aktion Mensch seit Jahren kritisiert. Bislang ohne, dass es mal nachhaltigen Einfluß auf die Arbeit der Organisation gehabt hätte.

Es geht nicht an, dass man sich für eine derart große und finanzstarke Kampagne irgendwann im Verlauf mal ein „joa, das ist wahrscheinlich OK so“ von Selbstvertretern abholt.
Menschen mit Behinderungen müssen in alle Stadien einer solchen Kampagne eingebunden werden.

Und das nicht nur, in dem sie auch was dazu sagen dürfen, sondern als Entscheider.
In allen Stadien der Produktion.
Was bedeutet, man darf solche Aufträge nicht an Agenturen vergeben, die im eigenen Unternehmen maximal einen Token-MmB haben. Wenn überhaupt.

Sondern man muss solche Aufträge an Agenturen vergeben, deren Produktion mit mindestens 50% Menschen mit Behinderungen besetzt ist.

Ach, die gibt es gar nicht?

Ja. Ups.

Teil des Problems, hm?

Und noch zum Abschluß, an die verantwortliche Agentur @kollerebbe: Ob ihr was mit Sprache macht, habe ich gefragt.

Originally tweeted by Mela Eckenfels (@Felicea) on 1. November 2021.


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