Witze über Menschen mit Behinderungen. Warum eigentlich?


Immer, wenn mal wieder ein Comedian bis zur Achsel ins Klo gegriffen hat, beim Versuch »Witze über Menschen mit Behinderungen« zu machen, beginnen Diskussionen, in deren Verlauf das Lachen über MmB quasi als eine Form der Inklusion verkauft wird.

Nur, wenn man auch über Menschen mit Behinderungen lachen dürfe, dann wären auch wir ein richtiger Teil der Gesellschaft. Keine Witze über uns zu machen, würde angeblich bedeuten, dass man uns ausgrenzen würde.

M-hm. M-hm.

Ich möchte meine Gedanken zu dieser Behauptung mal kurz in einem Wort zusammenfassen:

Bullshit.

Zwei Gründe, warum Witze über Menschen mit Behinderungen keine Inklusion sind

  1. Es werden gar nicht über alle Teile der Gesellschaft Witze gemacht. So sind es z.B. die durchschnittlichen, weißen, mittelalten Männer die ziemlich selten das Ziel von Witzen sind. Oder, wie viele Comedians beschäftigen sich eigentlich intensiv und regelmässig in ihrem Program mit Fußball oder Fußballfans?
  2. Das Lachen über Menschen mit Behinderungen hat eine lange Tradition und nannte sich u.a.: Freakshows. Oder »Liliputaner-Stadt«. Oder Zirkus.
    Dieses Lachen hat eine Tradition, die parallel zu den Minstrel-Shows verlief, in denen man sich über schwarze Menschen lustig machte und parallel zu den Völkerschauen, in denen man Menschen anderer Kulturkreise angaffte. Anders-Sein, auffallen, als Quell des endlosen Amüsements der Mehrheitsbevölkerung, aber niemals, nicht einmal, als Quelle des Respekts oder der Inklusion. Das Lachen bedeutet lediglich Duldung, und auch diese nur dann, wenn man unterhaltsam genug ist. Das Lachen grenzte aus und hielt fern.

Die »Liliputaner-Stadt« im Holiday Park in Hassloch wurde übrigens erst Mitte der 90er Jahre geschlossen. Die bittere Traditon des Angaffens, des schockierten, belustigten, verständnislosen oder höhnischen Lachens über Menschen mit Behinderungen … seit wann genau soll sie der Vergangenheit angehören?
Die Auflösung: sie hat nie wirklich geendet. Dass wir heute weiter wären, wir inkludiert würden, das ist nicht mehr und nicht weniger als eine Heldenerzählung der beständigen sozialen Verbesserung, die sich nichtbehinderter Menschen über sich selbst erzählen. Diese Heldenerzählung ist nicht unsere Realität.

Warum also die ständige Behauptung, dass wir, wenn wir ganz und richtig dazugehören wollen, die Mehrheitsgesellschaft über uns lachen lassen sollen? Und über welche Aspekte unseres Lebens, unseres Seins genau, möchte man denn lachen?

Ich für meinen Teil könnte sehr gut mit der angeblichen Ausgrenzung leben, die entstehen würde, wenn wir nicht mehr der Hintern eines Witzes sind. Denn ausgegrenzt wird sowieso und dann doch lieber Ausgrenzung ohne gehässige „Witze“.

Satire: alles darf, eines will

Aber widmen wir uns doch nochmal der Frage, warum genau über Menschen mit Behinderungen gelacht werden soll.

Weil Satire alles dürfe, lautet eine sehr häufige Antwort.

In der exzellenten Folge »Holger ruft an« über Luke Mockridge berichtet der Kulturjournalist Bernhard Hiergeist über seine eigenen Beobachtungen — zwar dürfe Satire alles, aber erschreckend oft wolle Satire gar nicht alles, sondern vor allem eines: diskriminieren.

Prangert Satire Missstände an?

Satire widme sich Missständen, so ein anderes, häufiges Argument.

Welche Missstände sind das genau, wenn über Menschen mit Behinderungen gewitzelt wird? Etwa, dass man sich jetzt damit abfinden muss, dass Menschen mit Behinderungen nicht den ganzen Tag weinend abgeschoben hinter den Bergen bei den sieben Kleinwüchsigen leben, sondern am Alltag der Durchschnittsbevölkerung teilnehmen und — gasp — Raum einnehmen?

Der einzige Missstand, dem sich Satire regelmässig zu widmen scheint, ist anscheinend das Unbehagen diverser Comedians, dass sich Verhältnisse ändern.

Der einzige Missstand, dem sich Satire regelmässig zu widmen scheint, ist anscheinend das Unbehagen diverser Comedians, dass sich Verhältnisse ändern.

Witze über Menschen mit Behinderungen. Warum eigentlich?

Genau das macht Satire eben nicht zu einem Werkzeug der Freiheit und der freien Rede, nicht zu einem Befreiungsschlag aus Verhältnissen, die man nur mit Humor erträgt, sondern zu einem Mittel der sozialen Kontrolle, der Besitzstandswahrung und des Erhalt einer reaktionären, geschlossenen und exkludierenden Gesellschaft.


Gestern vs. Heute

Solange das Lachen über Behinderungen als normal oder unvermeidbar gilt oder gar als Anrecht eingefordert wird, so lange hat sich nicht wirklich etwas geändert. Es gab früher anständige Menschen, denen die Menschlichkeit behinderter Menschen bewusst war, die nicht starrten und lachten, es gibt diese anständigen Menschen heute noch. Sie haben, vom Mengenverhältnis her, vielleicht — hoffentlich — etwas zugenommen.

Sobald man aber den Kopf aus dem kuscheligen, aufgeklärten Umfeld steckt, dass meist auch deswegen kuschelig und aufgeklärt ist, weil eine oder mehrere behinderte Menschen in diesem Umfeld über pure Duldung hinaus existieren, trifft man auf Abneigung, Missgunst, Ablehnung, Häme, Unverständnis und Hass.

Ein nicht geringer Teil der Comedy-Szene und generell der Medienwelt, mit ihren (oft männlich dominierten) Netzwerken, ihren Gatekeepern, ihren Ritualen, dem beständigen Konkurrenzkampf und ihrem Druck zur Massentauglichkeit, gehört zur zweiten Kategorie.


Den folgenden Kommentar, der sich mit den — meines Erachtens — vier Gründen beschäftigt, aus denen Nichtbehinderte über Menschen mit Behinderungen lachen wollen, habe ich vor einigen Tagen auf Facebook gepostet. Ich übernehme ihn mit allen Fehlern und aufgrund von Müdigkeit spröden Formulierungen ins Blog.

Der Kommentar

Andersrum wird ein Schuh draus. Warum sollte man über eine Behinderung Witze machen? Wer will das? Warum? Was genau wird daran lustig gefunden? Warum sollte es ein Argument sein, dass man darüber auch Witze machen sollte, wenn man doch tatsächlich gar nicht über alles Witze macht, ganz egal wie oft das behauptet wird.

Beispielsweise, wie viele Comedians machen Witze über die Leute, die sie für ihre Gigs buchen?

*grillenzirpen*

Wie viele Comedians machen Witze über die Strukturen und Vorgänge in den Fernsehsendern, für die sie arbeiten? Obwohl das ein sehr skurriles Gebiet mit teils sehr skurrilen Menschen und Ritualen ist?

*grillenzirpen*

Wie viele Witze gehen über die Vorstände der DAX-Unternehmen rum, wenn es gerade keinen akuten Skandal gibt?

*grillenzirpen*

Man könnte ein Muster erkennen, dass Menschen meist keine Witze machen, zumindest nicht offen, wenn das über Menschen wäre, die Einfluss auf ihre Reichweite und Karriere haben, oder die sich allgemein in einer Machtposition befinden.

Witze sind das Merkmal eines Machtgefälles

Und damit wären wir bei dem Problem, dass die meisten Witze über Menschen mit Behinderungen, auch jene, die nicht offen behindertenfeindlich und herablassend sind, auf ein Machtgefälle hindeuten.

Und nein, das hat nichts mit „Überbehütung“ zu tun, wenn man auf dieses Machtgefälle deutet und sagt: Lasst das sein. Entwickelt erst mal Respekt, dann lange nichts und dann vielleicht irgendwann, in ein paar Jahrzehnten, wenn ich das mit der Augenhöhe hinbekommen habt.

Gründe, für Nichtbehinderte, Witze über Menschen mit Behinderungen machen zu wollen

Meiner Erfahrung nach machen Nichtbehinderte aus einer überschaubaren Anzahl Gründen Witze über Behinderte:

1. Ich kann das unfallfrei! Ehrlich!

Weil sie ‚beweisen‘ wollen, dass man als Nichtbehinderter auch über Behinderte Witze machen kann.

Meist krampfig, peinlich, gänzlich unlustig und verzichtbar. Braucht keiner.

2. Ich verstehe es nicht, also muss ich einen Witz drüber machen!

Weil sie Dinge die Behinderte tun oder alles, was zum großen Bereich Behinderung gehört, komisch finden und nicht verstehen.

Weil es ein Copingmechanismus ist, sich über alles lustig zu machen, das man nicht versteht und das nicht ins eigene Weltbild passt. Dann fühlt man sich nicht dumm und uninformiert, obwohl man genau das ist: Ignorant, uninformiert, mit einem Tellerrand der vor der Nasenspitze endet und einem großen Unwillen sich auf unbekannte Lebensrealitäten einzulassen und dazu zu lernen.

Beispiel (das jetzt nichts mit Behinderung zu tun hat, aber das Mindset zeigen soll): Ein Comedian der es lustig fand, einen Witz drüber zu machen, dass die Leute, die in Afrika hungern, doch dorthin gehen sollen, wo die Nahrung ist. (Ich pack das jetzt hier nicht aus, aber dieser „Witz“ ist auf so vielen Ebenen so extrem stulle, dass es wirklich schwer fällt, dass noch zu übertreffen).

Aber es wurden auch schon Witze über Rollstuhlfahrer gemacht, die aufstehen und gehen und das wäre ja „*eingespielter Lacher* Ein WUNDER!!“.

– da hat der „Comedian“ nicht verstanden, dass Behinderungen nicht binär sind …

– … und verstärkt die Vorurteile einer Gesellschaft, in der die Mehrheit nicht versteht, dass Behinderungen nicht binär sind, sich auch nicht damit beschäftigen will, sondern lieber Vorurteile pflegt.

Erneut, braucht keiner.

3. Unterhaltungsanspruch

Weil sie Behinderung unangenehm finden, lieber nicht damit konfrontiert werden wollen – schon gar nicht damit, dass es jedem passieren kann, aber wenn sie sich schon damit abgeben müssen, dann wollen sie wenigstens drüber lachen.

Das bedeutet, die Mehrheitsgesellschaft möchte vor einem ernsten Thema bewahrt werden — weil ihnen die Resilienz und emotionale Reife fehlt, die Existenz von Behinderungen und behinderten Menschen auszuhalten, ohne blöde Witze reißen zu müssen.

Und wenn sie sich schon mit behinderten Menschen abgeben müssen, finden sie, haben sie einen Unterhaltungsanspruch.

Nein. Einfach nein.

4. Fragile Gruppenzugehörigkeit

Um zu definieren, wer zur In-Group und wer zur Out-Group gehört und um den Zusammenhalt der In-Group zu stärken.

Das ist der Grund für den „lustigen“ Podcast und die Häme von Typen wie Mockridge und „Die Deutschen“.

Menschen mit Behinderungen sind kein Teil der Broflake-Bubble und weil sie auffallen, anders aussehen und die fehlende Ambiguitätstoleranz der Broflakes triggern, sind sie natürliche Ziele. Man macht Witze über MmB um klar zu machen, dass DIE nicht dazugehören und sich untereinander gut zu finden.

Sehr tiefhängende Trauben, aber man darf von den Leuten ja keine Leistung erwarten. Weder intellektuell, noch kulturell, noch menschlich.

Erneut: Nein. Einfach nein.


Cringe as cringe can

Selbst nicht böse gemeinte Witze sind mehrheitlich verzichtbar und cringe. So sehr ich die Guardians of the Galaxy Filme ansonsten liebe: Die Stellen in denen Rocket Racoon seine ‚Scherze‘ mit Menschen mit Behinderungen treibt, sind cringe und unlustig.

Wie das Stehlen einer Beinprothese, damit die Flucht der Guardians einen Comic Relief-Moment bekommt und um dem Charakter Rocket Racoon mehr Tiefe zu verleihen. Rocky Racoon hätte man auch anders als Edgelord charakterisieren können und auch Comic Relief kann man anders schaffen. Vielleicht lachen dann halt nicht so viele Zwölfjährige drüber, ja.

Sieht man sich die Realität behinderter Menschen an, dass z.B. die Wegnahme von Mobilitätshilfen oder Mobilität generell, gar nicht mal selten ist, sei es aus Bosheit, zur Strafe, weil Gelegenheit Diebe macht, als Machtspielchen, aus Mismanagement oder aus Faulheit, dann bleibt das Lachen im Hals stecken.

Mehr noch, wenn es, wie kürzlich, einem Mitglied des britischen Oberhauses und Parathletin passiert, die sich dann über den Boden aus einem Zug schleifen muss.

Über was wird gelacht?

Wie oft wollen Nichtbehinderte Witze über Behinderungen oder Menschen mit Behinderungen machen?

Und wie oft wollen Nichtbehinderte Witze über die Umstände machen, unter denen Menschen mit Behinderungen leben oder über Menschen, die sich wie Arschlöcher oder auch einfach nur gleichgültig oder ignorant gegenüber Menschen mit Behinderungen verhalten?

Die Antwort auf diese Frage für den ganzen Themenkomplex relevant, aussagekräftig … und bitter.


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