ProjektMaster: Rekapitulation nach Jahr 1


Vor einem Jahr habe ich mich etwas gewagt, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt für mich persönlich, für nicht machbar hielt: Ich habe ein Präsenzstudium aufgenommen. Seit dem Sommersemester 2022 studiere ich Europäische Kultur und Ideengeschichte (EUKLID) im Master am Karlsruher Institut für Technologie.

Das Ende meines Bachelorstudiums an der Open University war für mich immer mit ein wenig Wehmut verbunden, da ich das Gefühl hatte, gerade an dem Punkt fertig geworden zu sein, als ich endlich, ENDLICH den Dreh raushatte, wie man auch mit ADHS und Autismus halbwegs effektiv studiert, ohne sich ständig selbst im Weg zu stehen.

Das Studium an der Open University war, in vielen Hinsichten, für mich ideal. Ich musste nicht regelmässig unter Menschen, die Online-Kommunikation war für mich die ideale Form mit meinen Tutoren und den Kommilitonen in Kontakt zu treten und in Kontakt zu bleiben. Und dennoch brachte es mich Modul für Modul an meine persönlichen Grenzen und ich hatte jedes Jahr mindestens einmal den Rappel, am liebsten alles hinwerfen zu wollen.

Die exzellente Betreuung durch hervorragend ausgebildete Tutoren und der täglich von 9-to-5 erreichbare Disability-Support konnten mich jedes Mal aus dieser Phase abholen.

Ein Präzenzstudium, noch dazu an einer deutschen Uni, an denen man nur zu oft Studenten mit Behinderungen für nicht geeignet für eine akademische Ausbildung hält, war eine Aufgabe, der ich mich nicht gewachsen sah.

Dann aber kam eine Phase extremer Motivationsprobleme und ein Projekt, das mich völlig überforderte, verbunden aber mit einem überspannenden Gefühl nicht auf die richtige Art gefordert zu werden und damit auch der Wunsch, irgendwas radikal zu verändern.

Der Wunsch führte zum Googlen von Masterprogrammen und dabei stolperte ich auf das EUKLID-Studium am KIT. Dort hatte man nicht lange zuvor die Zugangsvoraussetzungen verändert und während ich zuvor durch die fehlende zweite (erfolgreich abgeschlossene) Fremdsprache direkt rausgefallen wäre, schienen die Bedingungen nun durchaus auf mich zu passen.

Wäre nur die Frage, ob mein Abschluss hier anerkannt werden würde. Der Anabin-Datenbank nach sind Abschlüsse der OU in Deutschland voll anerkannt. Ob die Wunsch-Universität das genauso sehen würde, stand aber erst mal in den Sternen. Und da ist dann noch die Sache mit dem fehlenden Abitur …

In der Folge schrieb ich aber den Studiengangsleiter an und fragte. Die Antwort war durchaus positiv.

Aber um den Schritt zu wagen, fehlte noch etwas: Mehr Sicherheit und mehr Orientierung.

Denn während an der Open University seit über 50 Jahren ganze Teams daran arbeiten das Onboarding der Studenten und die zur Verfügung gestellten Informationen stets mit den Fragen abzugleichen, die Studenten tatsächlich haben, wurschteln an deutschen Universitäten die einzelnen Fakultäten vor sich hin und es fehlt die Manpower, die Finanzen und auch die Kontinuität für einen Prozess der ständigen Verbesserung.

Vor allem sind die Fakultäten deutscher Universitäten auch viel kleiner als eine Universität von jährlich rund 200.000 Studenten (das gesamte KIT hat gerade ein Zehntel der Studentenzahlen: 22,275 in 2021) und es klären sich viele Sachen schlicht schneller auf dem direkten Weg, als aufwendig Prozesse zu optimieren. Eine Riesenuni wie die OU kann wiederum nicht anders, als ihre Prozesse zu optimieren, um überhaupt funktionsfähig zu sein.
Man bedenke nur, dass ein eigenes Distributionszentrum existiert, von dem aus zweimal jährlich die Studienmaterialien verschickt werden.

Für Präsenzuniversitäten und eine riesige Fernuniversität wie die OU existieren schlicht andere Befürfnisse und andere Herausforderungen.

Nur, dass die durch 50 Jahre Erfahrung geebneten Wege für mich eben alles sehr viel leichter machten.

Ich will auf keinen Fall sagen, dass die Informationen, die das KIT, die Fakultät GeistSoz oder das Institut für Geschichte schlecht wären. Sie sind sehr gut! Aber sie setzen z.B. Wissen voraus, das man als Bachelorstudent an einer deutschen Universität automatisch erwirbt … das mir aber nun mal völlig fehlte.

Nun aber meine Learnings aus dem vergangenen Jahr, was gut war und was weiterhin eine Herausforderung bleiben wird:

Onboarding, dank persönlichem Engagement

Ohne den persönlichen Einsatz meiner jetzigen Dozentin, der Technikhistorikerin Dr. Silke Zimmer-Merkle, hätte ich mich den Sprung nicht gewagt. Unser Kontakt entstand, wie so viele nützliche Kontakte, über Twitter. Und ohne die Möglichkeit, ihr alle meine Fragen, zu denen ich im Material keine Antworten fand oder Umstände klären zu können, die mich, durch meine fehlende Erfahrung mit deutschen Universitäten, verwirrten, hätte ich vermutlich aufgegeben, noch bevor ich mich beworben habe.

Sie hat mich auch aus allen Unsicherheiten und Ängsten herausgeführt, denn: was soll schon schief gehen? Wenn es nicht klappt, klappt es eben nicht.

Nichtexistente Hilfsstrukturen für Studenten mit Behinderungen …

Die Beratung für Studenten mit Behinderungen verdient den Namen nicht wirklich. Sie ist unterfinanziert und unterbesetzt. Man wartet Wochen auf einen Termin, um dann zu erfahren, dass man sich alle Hilfen außerhalb suchen muss.
Es wird vorausgesetzt, dass man „selbst schon weiß, wie es läuft“ und ist nicht auf Studenten vorbereitet, die das schlicht nicht wissen. Und auch nicht, dass Studenten mit Behinderungen nicht erst Mal ein Jahr lang ihr Studium vorbereiten wollen, bevor sie tatsächlich anfangen zu studieren.

Die Haltung, dass Studenten mit Behinderungen halt damit leben müssen, dass es dauert, bis alle Anträge gestellt und genehmigt wurden und dass die eben damit Leben müssen, Zeit zu verlieren bevor sie das Studium aufnehmen können, ist inakzeptabel.

Auch, dass die Bürokratie komplett an behinderte Studenten abzuwälzen — weil alle Leistungsträger extern sind und die Universität sich nicht zuständig fühlt, ist inakzeptabel.

Eine Behinderung zu haben, bedeutet, dass die Existenz alleine bereits mehr Kraft und Aufwand bedeutet. Die Bürokratie die nötig ist, um diese Nachteile auszugleichen, auf die Studenten zu laden, ist kontraproduktiv und stellt meiner Ansicht nach eine Vernachlässigung der gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben dar.

Zudem sind die zur Verfügung stehenden Hilfen dann über- oder unterdimensioniert und gehen schlicht zu oft am tatsächlichen Bedarf vorbei.

Wie angenehm war es dagegen an der OU, einen Katalog möglicher Hilfen angeboten zu bekommen und aus diesem auswählen zu können, was zur eigenen Situation passt. Und vor allem pro-aktiv angeboten zu bekommen, also z.B. rechtzeitig vor Prüfungen erinnert zu werden, welche Optionen es gibt. Obwohl die Hilfen, die Studenten außerhalb des Vereinigten Königreichs zur Verfügung stehen, nicht dem vollen Umfang dessen entsprechen, was Studenten innerhalb UKs angeboten wird, übersteigt das Angebot auch das beste Angebot hier bei Weitem.

Außerdem ist die Kommunikation mit der Beratung für behinderte Studenten patronistisch und findet nicht auf Augenhöhe statt. Hier fehlen Jahre Schulung und vor allem auch eine grundlegende Veränderung der Haltung.

Meiner Ansicht nach kommen deutsche Universitäten den im Staatsvertrag festgehaltenen Verpflichtungen kein Stück nach.

Deutsche Universitäten zucken wiederum die Schultern und sind der Ansicht, dass sie, so lange sie kein Geld speziell für diese Aufgabe erhalten, ihre Schuldigkeit getan haben.

… werden durch Glück und Zufall aufgefangen

Glück und Zufall bedeutet in meinem Fall, dass das Institut klein und kuschlig ist, die Wege kurz und die Dozenten ansprechbar und immer Willens, eine gute und individuelle Lösung zu finden. Mein anfängliches, innerliches Verkrampftsein, mein Gefühl mit jeder Mail, jeder Nachfrage zu „stören“ hat sich etwas verflüchtigt. Ganz weggehen wird es nicht.

Cool: Das Institut

Die Atmosphäre, die Stimmung am Institut ist wirklich sehr, sehr gut. 99% aller Begegnungen mit Dozenten, Gastdozenten, Mitarbeitern und Kommilitonen waren angenehm, der Umgang miteinander ist entspannt und freundlich. Mit einer einzigen Ausnahme.

Auch cool: Die Inhalte

Als ich mich in das EUKLID-Studium einlas, fand ich, dass alles sehr interessant klang und ich war neugierig. Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass das Studium, die Inhalte, die von mir belegten Seminar so Zweihundertprozentig zu mir passen. Ich bin geflasht. Und angefixt.

Meine Zeit an der OU war inspirierend, ich habe unfassbar viel gelernt und ich liebte alles, was ich lernte. Aber das war kein Vergleich mit dem Studium jetzt, das sich, wie für mich persönlich erschaffen anfühlt.

Natürlich gibt es auch jetzt Themen, Konzepte, Ideen, mit denen ich erst einmal fremdele. Aber das überspannende Gefühl ist ein glückseliges eingebettet sein in ein gigantisches, rosa-plüschig-fluffiges: FUCK YEAH! THIS!

Schwierig: Präsenz

Dem ungeachtet, ist ein Präsenzstudium eine Herausforderung für mich. Selbst in einem idealen Umfeld, wie es das Institut für Geschichte des KIT darstellt, selbst mit — für meine Verhältnisse — wirklich minimalen Kommunikationsschwierigkeiten, selbst mit coolen Dozenten und coolen Mitstudenten zieht Präsenz immer noch weit mehr Energie, als ein Fernstudium.

Entsprechend gibt es Sitzungen, die ich verpasse, weil ich es an dem Tag einfach nicht packe, unter Menschen zu gehen. Autismus hat eben nichts mit Sozialphobie zu tun. Auch wenn ich angstfrei bin und den Kontakt mit Dozenten und Mitstudenten nicht scheue: Präsenz ist energieraubend.

Im Sommersemester 2022 gab es noch mehr hybride Möglichkeiten teilzunehmen, was manchmal etwas Druck rausnahm. Aber diese Möglichkeiten haben seitdem abgenommen. Auch wenn es vereinzelt weiterhin hybride Optionen gibt.

Ein Hörsturz im Wintersemester 2022/2023 hat mir dann auch gezeigt, dass Präsenzunterricht, auch unter den idealen Bedingungen hier am Institut, an meine Belastungsgrenzen geht. Entsprechend habe ich dieses Sommersemester die Zahl der belegten Seminar etwas zurückgefahren, um nicht irgendwann doch über die Grenze hinauszuschießen.

Schwierig: Häufige Wechsel

Auch wenn ich mich langsam wie eine hängende Schallplatte anhören dürfte: Die OU kam meinen Bedürfnissen einfach in sehr vielen Punkten entgegen. So auch auch durch den gleichförmigen Rhythmus des Studiums und die durchstrukturierten Module.

Ein Modul entspricht an der Open University vom Umfang des Lernstoffs und der zu investierenden Zeit fast immer einem Semester. Da das Studium dort aber generell als Teilzeitstudium gedacht ist dauert ein OU-Modul kalendarisch länger als ein Semester an einer Präsenzuniversität. Ein Modul erstreckt sich üblicherweise über einen Zeitraum von knapp 8-9 Monaten (abhängig davon, ob es mit einer Semesterarbeit oder einer Prüfung abschließt).

Das bedeutet umgekehrt auch, dass man viel mehr Zeit hat, sich mit einem Thema anzufreunden und den Bezug dazu zu finden.

Die Dauer eines OU-Moduls war für mich immer ziemlich nahe an der Grenze, an der es zu viel gewesen wäre. Nach 8 Monaten hatte ich vermutlich ähnliche Empfindungen wie Frauen nach 8 Monaten Schwangerschaft. Ich wollte jedes Mal, dass es endlich vorbei ist. (Und ganz besonders nach dem „Bootcamp für Historiker“ A200).

Die dreimonatigen Vorlesungsphasen einer deutschen Präsenzuniversität laufen für mich dagegen so ab:

Semesterbeginn: „Ein neues Semester. Die Themen klingen alle super. Ich freue mich schon, mich so richtig tiefergehend damit beschäftigen zu können.“

Ende der Vorlesungsphase: „…. tiefergehend damit beschäftigen zu können. WAIT? SCHON VORBEI? WTF? WTAF?“

Außerdem habe ich immer wieder große Probleme, mich selbst zu organisieren, wenn sich hilfreiche Gewohnheiten oder für mich funktionierende Abläufe ändern müssen, weil ich auf einmal einen neuen Stundenplan habe. Das bedeutet, einen guten Teil der Vorlesungsphase verbringe ich damit, meine Abläufe auf die veränderte Situation anzupassen. Anpassung, die wiederum viel Energie kostet. Und dann ist das Semester auch schon wieder vorbei.

Auch schwierig: SO. MUCH. STUFF.

Seit meinen Diagnosen 2002 und 2004 hat sich mit Therapie, Unterstützung und verzögerten, aber dann doch sowas wie, Erwachsenwerden wirklich extrem viel verbessert. Es gibt aber Probleme, die werden sich vielleicht etwas abschwächen, aber mich doch mein Leben lang begleiten. Eines dieser Probleme nennt sich „Störung der Exekutivfunktionen“. Das bedeutet, dass es mir große Probleme bereitet, mit einer Aufgabe anzufangen oder Aufgaben zu wechseln.

Hier kam mir das Studium an der OU soweit entgegen, dass der Ablauf eines Moduls vollkommen durchoptimiert war, so dass sich das Studium möglichst geschmeidig in ein Leben einfügen ließ, in dem es noch andere große Aufgaben, wie Berufstätigkeit, Erziehungs- oder Pflegeaufgaben, gibt. Man musste sich einfach nur am Material entlanghangeln und neue Themen reihten sich sauber hintereinander in die Warteschlange ein.

In einem Präsenzstudium belegt man aber mehrere Veranstaltungen parallel. Und die Themen stellen sich nicht in einer Reihe an, sondern wollen alle gleichzeitig Aufmerksamkeit. Es müssen Texte gelesen, Referate geschrieben und gehalten werden und geforderte Studienleistungen geschrieben und eingereicht werden.

Im Moment müssen für den Donnerstag Paper für „Beyond History“ gesucht und gelesen und Texte für „Geschichtstheorie. Fälschungen.“ sowie das Forschungskolloquium gelesen und im zweiten Fall auch kommentiert werden. Dann funkt noch „Die Geschichte der EU“ rein und will Aufmerksamkeit.

Mich an einem Tag sinnvoll und produktiv mit mehr als einem Thema zu beschäftigen … kommt vor. In Schaltjahren. Mit Glück.

Im Allgemeinen ist es mir schlicht nicht möglich. Ein Tag. Ein Thema.

Und dann sind da auch immer noch Tage, an denen einfach, trotz Medikation, gar nichts geht. Und die Nächte, in denen mich mein hyperaktives Hirn nicht schlafen lässt. Und die Tage, in denen ich im Hyperfokus in ein Rechercheloch falle und erst 16 Stunden später wieder draus auftauche. Und die Tage mit PMS.

Und zwischendrin drehe ich mich wie ein Kreisel zwischen den Anforderungen der einzelnen Seminare und habe das Gefühl allen nicht gerecht werden zu können.

Gut … und schwierig: Flexibilität

Man kann einem Studium an der OU viel unterstellen, aber besondere Flexibilität gehört nicht dazu.

Während des Moduls gab es kontinuierliche Leistungskontrollen, in Form von einem Essay pro Pi-Daumen-mal-Fensterkreuz Monat. Diese mussten innerhalb einer fixen Abgabefrist ins System geladen werden. Auch nur eine Stunde zu spät einzureichen bedeutete, dass der Tutor die eingereichte Arbeit nicht mehr berücksichtigen musste. Außer, man kündigte vorher Probleme an und auch für Menschen mit Behinderungen wurden, wenn die Umstände es nötig machten, noch längere Fristen genehmigt. Ohne diese, hätte ich den Bachelor nicht geschafft.

Aber dennoch musste man bis kurz vor Ende des Moduls als Gesamtnote der kontinuierlichen Leistungskontrolle mindestens eine Vier haben, ansonsten brauchte man die Modularbeit gar nicht schreiben bzw. wurde nicht zur Prüfung zugelassen.

Während man im Modul mit Einverständnis noch ein bisschen schieben konnte, war das Modulende ein fixes Datum. Wenn nicht alles zu Stichtag X vor Modulende eingereicht war, bedeutete es, dass man das Modul komplett wiederholen musste.

Jetzt ist das alles viel entspannter. „Wenn Sie die Prüfung jetzt nicht machen wollen, können Sie die auch noch nach dem Wintersemester machen.“ — „Ja, klar berücksichtige ich Ihre Studienleistung noch. Reichen Sie sie einfach ein, wenn Sie fertig sind.“

Das nimmt sehr viel Druck raus und ist dadurch auch sehr hilfreich.

Auf der anderen Seite: Wenn man einem Menschen mit ADHS die Möglichkeit zum Schieben gibt dann wird Schieben stattfinden. Und dann muss man schon sehr aufpassen, dass nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag geschoben wird.

Problematisch: Schwierige Mitstudenten

Die Atmosphäre am Institut wäre zu schön um wahr zu sein, wenn es nicht doch einen Missklang gäbe. Also ist es wohl gut, dass es den Missklang gibt, denn dann ist die ansonsten angenehme Situation auch wahr.

In einem Seminar im vergangenen Wintersemester sollte ich während einer Sitzung eine Arbeitsgruppe mit zwei Kommilitoninnen bilden. Wir sollten unsere Objekte besprechen, die Fragen, die wir als Vorbereitung schon entwickelt hatten, unter die Lupe nehmen und schauen, ob wir Aspekte vergessen haben.

Meine zwei Partnerinnen waren keine Masterstudentinnen, sondern im Bachelor. Ihr Alter entspricht aber meinem oder liegt sogar noch ein wenig darüber. Und: sie hatten keine Lust.

Sie wollten ihre Fragen nicht durchsprechen, weil sie hätten sich die Fragen ja schon überlegt. Sie wollten mir ihre Objekte nicht vorstellen. Sie interessierten sich nicht für mein Objekt. Sie wollten sich nicht mit dem Objekt einer weiteren Kommilitonin beschäftigen, die an diesem Tag nur online am Seminar teilnahm.

Sie ignorierten mich weitgehend und unterhielten sich miteinander.

Ich machte zwei kurze Versuche, mit ihnen ins Gespräch und ins Arbeiten zu kommen. Dann nahm ich das Blatt mit dem Objekt der hybrid teilnehmenden Studentin und entwickelte Fragen.

Wenig zeigte meine Entwicklung der letzten Jahre so gut, wie der Umstand, dass ich nicht in eine Gedankenspirale fiel, in der ich die Situation immer und immer wieder durchspielte und totanalysierte um herauszufinden, was ICH falsch gemacht hatte und woran die Kommunikation genau gescheitert war.

Ich erkannte das Verhalten der zwei Damen als unmöglich, kindisch, ihrem Alter grundpeinlich unangemessen und konnte der Episode meinen innerlich aufgeblasenen Mittelfinger entgegensetzen. Außerdem gab ich dem Duo in Gedanken einen, wie ich fand sehr passenden, Namen: Prinzessinnen.

Das bedeutet leider wiederum nicht, dass das Ganze für mich folgenlos war.

Die kleine Episode hat nämlich massiv Energie gekostet und zwar so viel, dass ich temporär sogar erwogen hatte, das Seminar noch fallenzulassen obwohl nur noch drei Termine im Semester übrig waren.

Ebenfalls der Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte ist es zu verdanken, dass ich stattdessen eine Strategie entwickeln konnte, wie ich mit der Situation auf eine Weise umgehe, die für mich machbar ist.

Zuerst habe ich für die folgende Sitzung die Hybridoption in Anspruch genommen, um mehr Zeit zu haben, mich wieder zu fangen.

Vor der nächsten — und letzten — Präsenz-Sitzung hatte ich dann eine Strategie entwickelt, wie ich verhindere, nochmal mit den beiden in eine Arbeitsgruppe zu kommen. Ich plante also meinen Weg in den Seminarraum, wo ich mich hinsetze und plante mich pro-aktiv selbst einer anderen Gruppe zuzuordnen, statt zugeteilt zu werden.

Nun war es bei mir schon immer eine Sache, Pläne zu machen, um von einer Situation nicht überrascht und überrollt zu werden und, diese Pläne in der Realität dann auch umsetzen zu können. In diesem Fall lief es aber wie am Schnürchen. Ich kam zwar etwas zu spät und hatte nicht mehr die freie Sitzplatzwahl, aber es hatten sich schon Arbeitsgruppen gebildet und ich schlug meinem Dozenten nach meinem Eintreffen vor, dass ich doch mit der Gruppe zusammenarbeiten könnte, die aus drei Masterstudent:innen bestand, mit den zusammen ich einige der Masterseminare belegt hatte.

Alles weitere lief perfekt und wir hatten eine schöne und produktive Sitzung.

Schockstarre: Praktikum

Zum EUKLID-Studium gehört ein Pflichtpraktikum. Die Praktikumsstelle muss thematisch halbwegs zum Studium passen, bzw. in einem Bereich absolviert werden, der eine übliche berufliche Perspektive für Historiker bietet.

Das Praktikum liegt wie ein Felsen vor mir, bei dem ich absolut keine Ahnung habe, wie ich ihn überwinden soll.

Zum einen sind meine Pläne für die Zeit nach dem Studium mit dem weiterzumachen, was ich seit Mitte der 2000er Jahre tue: Schreiben. Nur eben noch ein bisschen besser, noch ein bisschen schlauer und umfassender gebildet.

Und als jemand, die sich als eine Person versteht, die auf professionellem Niveau schreibt, mit 18 Jahren Übung und einem Abschluß, der behauptet, ich wäre eine professionelle Autorin, käme es mir echt komisch vor, jetzt ein Praktikum in dem Bereich zu machen, in dem ich Profi in.

Darüber hinaus ist es absolut ausgeschlossen, dass ich mehrere Wochen regulär 8 Stunden am Tag in einem Büro unter Menschen arbeite. Danach könnte man mich maximal noch auf der Giftmülldeponie entsorgen oder kompostieren. An diesem Punkt verläuft die harte Grenze des Machbaren.

Aber bis das Praktikum unausweichlich wird, vergeht noch etwas Zeit und wer weiß, vielleicht ergibt sich irgendwas, das für mich zu schaffen ist.

Der Berg: Funktionierende Selbstorganisation

Dieser Teil würde den ohnehin schon sehr langen Beitrag endgültig sprengen. Daher werde ich, wenn ich die Zeit und Energie finde, ein anderes Mal darauf eingehen.

tl;dr

Ich bin verliebt in mein Masterstudium und fühle mich am KIT sehr wohl. Trotzdem bleibt es schwierig.


1 Comment ProjektMaster: Rekapitulation nach Jahr 1

  1. Ellen

    Wow. Danke für diesen Einblick und die Bestätigung, dass es online und im Ausland manchmal doch besser geht (allerdings nur, wenn man das nötige Kleingeld besitzt).

    Mit sehr viel deutscher Präsenzuni-Erfahrung kann ich bei vielem nur heftig zustimmend nicken. Seit ich selbst in dieser Maschinerie arbeite, verstehe ich zwar, wie diese ineffizienten und ineffektiven Strukturen entstanden sind, ein Verständnis für das Weiterbestehen derselben will sich aber nach wie vor nicht einstellen und ich hoffe, an einigen von Dir als besonders unterstützungsarm beschriebenen Stellen einen Unterschied machen zu können. In Diskussionen zu neuen Prozessen oder Features werbe ich immer dafür, multiple Wege zum Ziel einzubauen, Prozesse möglichst einfach und aus Nutzerperspektive sinnvoll aufzuteilen und vernünftige Unterstützung zu allen Schritten anzubieten, aber die Diskussionen sind mühselig und energiezehrend, da vielen Menschen immer noch nicht einleuchtet, warum dies sinnvoll sein und langfristig sogar Kosten sparen kann.

    Das deutsche Uni-System krankt – neben den üblichen ökonomischen Zwängen – oft daran, dass ‘product features’ die Standard-Perspektive ist und ‘user benefit’ als umständlich und unmachbar angesehen wird. Dann noch auf verschiedene Nutzer einzugehen: Ein Ding der Unmöglichkeit.

    Mittlerweile habe ich 4x bis kurz vor den Abschluss studiert, meist in der Hälfte der Regelstudienzeit und Bestnoten. Einen Abschluss habe ich aber nach wie vor nicht. Dafür Arbeitserfahrung in den verschiedensten Branchen, inkl. Führungsverantwortung und eine Familie. Trotzdem will ich noch immer am liebsten endlich ein Studium abschließen und wissenschaftlich arbeiten, aber ob das klappt… Du hast die Hindernisse sehr treffend beschrieben.

    Ich habe mich immer gefragt, wie Du Abitur gemacht und studiert hast – auf die Idee, dass letzteres ohne ersteres schon damals ging, wäre ich gar nicht gekommen. Das hätte mir vieles erspart. Heute geht das ja an immer mehr deutschen Unis, zumindest dort bewegt sich etwas.

    Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit Deinem Studium und einen Praktikumsplatz, der zu Dir passt💜

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