Heilpraktiker


Meine Beziehung zu Heilpraktikern ist seit geraumer Zeit angespannt. Hatte ich mich vorher nie wirklich mit dem Beruf beschäftigt und bin, wie die meisten Menschen davon ausgegangen, dass auch Heilpraktiker Medizin praktizieren, nur irgendwie … menschlicher.

Erst mit meiner Beschäftigung mit MMS und in der Folge mit Quacksalberei um Autismus herum überhaupt, hat sich einerseits mein Wissen, den Berufsstand betreffend, erweitert und meine Einstellung in der Folge geändert. Grund waren unter anderem die vielen Heilpraktiker, die sich in Diskussionen mit Autisten und Eltern autistischer Kinder in einem Umfang ahnungslos, aber dabei völlig von sich überzeugt zeigten, dass man es nur noch schockierend nennen kann.

Es fehlten grundlegende Kenntnisse zur Funktionsweise eines menschlichen Körpers oder Grundlagen der Chemie und Biologie.

Es fehlten auch grundlegende Kenntnisse zu Autismus oder überhaupt neurologischen Behinderungen. Zusätzlich zieht sich Behindertenfeindlichkeit durch die Szene, die jede Behinderung bekämpft sehen will, weil Akzeptanz immerhin keine Kunden bringt.

Statt dessen haben sich in der Szene Behauptungen etabliert, warum die Anwendungen angeblich wirken sollen oder wie. Da wird mit „Quantenphysik“ argumentiert und mit „Neuroplastizität“, doch keiner betreffenden Heilpraktiker hat verstanden was Quantenphysik oder Neuroplastizität ist und die behaupteten Wirkmechanismen werden auch von Quantenphysikern und Neurowissenschaftlern vehement bestritten.

Nur wenige Menschen sind wirklich darüber informiert, dass Heilpraktiker den Beruf ohne Nachweis einer Ausbildung, rein nach einer Multiple Choice Prüfung, antreten dürfen und auch das der Art der angewendeten Behandlungen nur theoretisch Grenzen gesetzt sind. Nur wenige sind sich bewusst, dass Heilpraktiker keiner strukturierten Kontrolle unterliegen und es auch keinerlei gemeinsame Standards für Behandlungen gibt, noch irgendeine tragbare Erklärung für deren Wirkungen jenseits der Placebowirkung.

Während auch eine Arzthelferin drei Jahre lernt und geprüft wird, bevor sie im Praxissetting zum Beispiel Impfungen verabreichen darf, darf ein Heilpraktiker Nadeln in Menschen stecken, ohne das je erlernt zu haben.

Und selbst wenn sicherlich die meisten Heilpraktiker den Beruf mit den besten Intentionen ergreifen, steht die eigene Selbstüberschätzung einer sicheren Patientenversorgung doch oft im Wege.

Sowohl Gewinnstreben, als auch der esoterische-ideologische Überbau vieler Heilpraktiker, der, wie im Falle der Anthroposophie, Krankheiten und Behinderungen als selbst verschuldet ansieht (entweder durch schlechtes Karma aus dem letzten Leben oder die ‚falsche Einstellung‘), macht sie zu direkten Gegnern der Emanzipation behinderter Menschen und der Abkehr vom medizinischen Modell von Behinderung.

Aus diesem Grund ist es der Spruch „man darf nicht alle über einen Kamm scheren“ der meinen Zorn, und damit einen Twitter-Thread, triggert. Denn er verstellt nur den Blick darauf, dass die Branche ein strukturelles Problem hat, wenn nicht gar eher, ein Problem in sich selbst ist.


Es folgt: ein Rant. Ich habe nämlich einmal zu oft „Man darf nicht alle über einen Kamm scheren“ gehört.

Um was geht es? Ja, natürlich um Heilpraktiker, um deren Ausbildung, Prüfung, die strukturellen Probleme des Berufsstands und vor allem: dem internen Umgang mit Kritik.

Mein aktueller Rant entzündet sich an einem Thread von @KJPGehrden, aber auch nur, weil dieser Thread so beispielhaft abläuft, wie _jede_ Diskussion um Heilpraktiker abläuft und auch wieder beispielhaft zeigt, wie u.a. von Interessen- und Berufsverbänden argumentiert wird.

U.a. wenn auf einen Tweet, der lediglich eine neutrale und wertungsfreie Frage enthält, wie dieser, direkt ein halbes Dutzend Vorwürfe des „Heilpraktikerbashings“ kommen, dann ist da was im Busch:

Dann haben wir hier ein schönes Beispiel der (angeblichen) „Cancel Culture“, nämlich eine Gruppe, bzw. Menschen die eine Interessengemeinschaft bilden. Das geteilte Interesse: Kritik an Heilpraktikern zu delegitimieren, niederzuschreien und als unsachlich zu diskreditieren.
Und das schon bevor überhaupt Kritik geäußert wurde.

Aber nichts zeigt so schön, dass die Kritik notwendig und noch viel zu leise ist, wie die eifrige Arbeit von Lobbyisten, die statt die Kritik ernst zu nehmen, als erstes mit dem Finger auf andere zeigen.
Wie hier:

Gibt es schlechte Mediziner? Ohne Frage.

Allerdings: es gibt das Standesrecht, es gibt etablierte Beschwerdeverfahren für Patienten, es gibt Patientenvertreter, es gibt Aufsichtsbehörden, es gibt das Bewusstsein, des gesamten Standes, dass das Probleme sind, an denen gearbeitet werden MUSS. Es gibt Initiativen die Ausbildung zu verbessern, es gibt Forschung zu diversen Aspekten der Patientenversorgung und Ansätze, wie man Bewusstsein schaffen und diese verbessern kann.

Wenn wir als Behindertenaktivisten in der Lage sind, auf behindertenfeindliche Einstellungen vieler Mediziner hinzuweisen und diese mit Zahlen zu belegen, dann _weil_ _es_ _Forschung_ _dazu_ _gibt_.

Der Ansatz im Heilpraktiker-Umfeld, wie man Dinge verbessern kann, lautet: Die anderen sind ja auch nicht besser.

Mit dem Finger auf andere zeigen, ja, aber die Lobbyarbeit von Heilpraktikerverbänden für Ausbildungsstandards:

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Die Lobbyarbeit von Heilpraktikerverbänden für eine verpflichtende Ausbildung:

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Die Lobbyarbeit von Heilpraktikerverbänden für nachhhaltigere Prüfungen:

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Die Lobbyarbeit von Heilpraktikerverbänden für eine verpflichtende Assistenzzeit:

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Die Bemühungen von Heilpraktikerverbänden gegen Heilpraktiker vorzugehen, die ihre Kompetenzen überschreiten, gefährliche Mittel verordnen oder Patienten von wirksamen Therapien abhalten – sie sieht man als „einzelne Personen“ & demnach nicht als Problem diigo.com/0i14za

Ergo, sehen auch hier die Bemühungen so aus:

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Warum auch, denn:

Die Realität dagegen: Es ist unfassbar schwer, einem Heilpraktiker die Erlaubnis zur Ausübungen seiner Tätigkeit zu entziehen. Viele Gesundheitsämter sind damit überfordert und fürchten die Klagen der Heilpraktiker.

Medwatch: Warum Heilpraktiker trotz Todesfällen weiter behandeln dürfen.

Selbst wenn einem HP die Erlaubnis tatsächlich mal entzogen wird, so reicht ein simpler Wechsel des Landkreises, um dort eine Erlaubnis zu erhalten und weiter zu praktizieren. Ein Register mit Heilpraktikern, denen die Erlaubnis wegen Vergehen entzogen wurde:
Ihr ahnt es:

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Kommunikation zwischen den Landkreisen, was die Tätigkeit bzw. die Vorgeschichte von Heilpraktikern angeht:

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Und selbst wenn die Gesundheitsämter wollen, dann können sie oft nicht:

Behördenchef zu Heilpraktikern„Patientenschutz spielt überhaupt keine Rolle“

Die Gesundheitsämter haben in der Tat relativ wenig Eingriffsmöglichkeiten. Ich habe keine Möglichkeit, die Qualität der Behandlung zu beurteilen. Ich darf eine Praxis nicht deshalb zumachen, weil ich der Ansicht bin, dass diese Verfahren alle unsinnig sind oder Patienten gefährdet sind. Bei uns geht es mehr um Fragen der Infektionsverhütung, der Infektionshygiene. In der Tat war es so, dass diese Praxis für eine gewisse Zeit keine invasiven Maßnahmen durchführen durfte, weil es Verstöße gegen hygienische Grundregeln gab. Danach muss im Regelfall ein Weiterbetrieb erfolgen. Selbst wenn uns das, was dort inhaltlich gemacht wird, große Bedenken bereitet. Wir haben allergrößte Schwierigkeiten, überhaupt das Wort „medizinisch“ in den Mund zu nehmen, weil Vieles mit Medizin nur am Rande zu tun hat. Einem Heilpraktiker die Erlaubnis zu entziehen, ist fast nicht möglich und juristisch mit hohen Hürden verbunden: Im Regelfall heißt es auch, seine Existenz zu bedrohen. Dadurch wird man schadensersatzpflichtig und muss sehr gut beweisen können, was passiert ist.

Medwatch: Behördenchef zu Heilpraktikern „Patientenschutz spielt überhaupt keine Rolle“

Initiativen der Heilpraktikerverbände um die Kontrollmittel der Gesundheitsämter zu verbessern und dadurch gegen die „einzelne Personen, die sich über geltendes Recht hinwegsetzen und offensichtlich ihre Sorgfaltspflicht verletzen“ vorzugehen:

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Initiative innerhalb der Heilpraktikerverbände gegen „einzelne Personen, die sich über geltendes Recht hinwegsetzen und offensichtlich ihre Sorgfaltspflicht verletzen“:

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Meine Anschreiben an Heilpraktikerverbände über Heilpraktiker, die MMS vertrieben, wurde lediglich mit nichtssagenden Allgemeinplätzen beantwortet oder gleich ganz ignoriert.
Wenn also das beste Argument für die eigene Existenz „die anderen machen ja auch Fehler“ ist, dann hat die gesamte Branche ein Problem. Ein strukturelles Problem.

Wenn die gesamte Branche dieses strukturelle Problem nur deflektiert statt anzugehen, IST sie das Problem.

Wenn ich Heilpraktiker lediglich gebetsmühlenhaft wiederholen höre, dass man „nicht alle über einen Kamm scheren dürfe“ statt auf den Barrikaden zu stehen & denen, die den Beruf nutzen, um Menschen zu schaden, Mittel & Möglichkeiten zu entziehen: ich kann euch nicht ernst nehmen.
Ihr duldet ausgesprochene Quacksalber in eurer Mitte. Ihr tragt Mitverantwortung.

Solange die Ausbildung so dereguliert ist, das solche Inhalte Teil einer Heilpraktiker-Ausbildung sein können, sogar öffentlich gefördert, und die Heilpraktikerverbände nicht auf den Barrikaden sind, ist die gesamte Branche das Problem!

https://archive.fo/GXlyu

Screenshot "Petra Butschko" Facebook. "Arbeitest du mit MMS?" "Ja, das Thema MMS hatten wir in der Heilpraktiker Ausbildung".

https://archive.fo/YnRFV

Also liebe Heilpraktiker: Ihr wollt ernst genommen werden? Ihr wollt nicht über einen Kamm geschoren werden? Dann will ich sehen, wie ihr eure Hintern bewegt und Schulter an Schulter mit uns Behindertenaktivisten steht.
Ich will euch schwitzen sehen und fluchen hören, während ihr daran arbeitet, zu verhindern, dass Eure Kollegen behinderten Kindern schaden oder das eure Kollegen Menschen mit Heilsversprechen um ihr Geld bringen.

DANN werde ich aufhören, euch über einen Kamm zu scheren.
Ich will die Heilpraktikerverbände sehen, wie sie Mitglieder schmerzlos rauswerfen und mit Gesundheitsämtern zusammenarbeiten, wenn diese schädliche Mittel anbieten oder unhaltbare Behauptungen machen.
Ich will die Heilpraktikerverbände in den Kommentarspalten sehen, wie sie Last von den Schultern von Behindertenrechtsaktivisten nehmen und helfen gegen unhaltbaren Blödsinn aufzuklären.
Bisher seid ihr nur eines: Ermöglicher.

Ihr ermöglicht Quacksalbern einen Anstrich von Seriösität, die sie mit einer lächerlichen Prüfung und dem Logo ihres Heilpraktikerverbands auf der Webseite erwerben.
Ich will den Fachverband Deutscher Heilpraktiker e.V. sehen, wie sie solche Mitglieder achtkantig rauswerfen:
https://archive.fo/z2opq
https://archive.fo/vgidW

Aber das wird nicht passieren, denn die Verbände wissen ganz genau, dass ihre Mitglieder Mitglieder sind, weil sie ihnen keine Vorschriften machen, welche Hirngeburt sie als Therapie verkaufen und welche nicht.

Und genau deswegen, ist der gesamte Berufsstand ein Problem und muss dringend, ganz dringend von Außen reguliert werden. Von innen wird es nicht passieren.

Wie jeder einzelne Heilpraktiker zeigt, der „aber die anderen machen auch Fehler“ und “ Bashing!!!“ und „einzelne schwarze Schafe“ sagt, statt: ja, das ist furchtbar und ich tue alles, was in meiner Macht steht, um das zu ändern.

Und solange auch die Forschung nur die Richtung begeht, die beweisen soll, wie toll und hilfreich Heilpraktiker sind, aber weigert sich mit den Schattenseiten des Berufs auseinanderzusetzen und wie man sie behebt: Fuck you.
@mentions



4 Comments Heilpraktiker

  1. Raphael

    Ich bin jetzt nicht ganz sicher, welche Meinung du vertrittst, und was in dem Artikel Zitate sind. Aber ich möchte doch ein paar Sachen anmerken. die Prüfung zum HP ist nicht ganz soooo einfach.

    Es wird in einem mündlichen und schriftlichen Test das Wissen des Kanditatens zu Körperfunktionen und Krankheitsbildern abgefragt. Der angehende HP muss also Sypmptome auch in schwierigen Fällen der richtigen Krankheit zuordnen können. Die Prüfung ist aslso keine Ausbildung, sondern sie soll klarstellenm, dass der HP dann weiß, wie sich bestimmte Krankheiten halt in Erscheinung treten.

    Einige Krankheiten dürfen von HPs gar nicht behandelt werden und invasive Methoden (Also konkret alles wo man in den Körper eindringt, z. B. mit einem Messer – Chirurg, aber auch Nadel – Impfen) ist nicht erlaubt.

    Ist die Prüfung aber dann mal absolviert kann der HP vieles tun. 😉 Z. B. leider auch Quacksaberei betreiben. Da gebe ich dir schon recht, ohne jetzt im Detail diskutieren zu wollen, was das genau ist. Aber da müssen dann halt auch die Patienten sehen, zu wem sie gehen. Weil Ärzte, die absurde Fehldiagnosen stellen, habe ich auch schon viele erlebt.

    Zudem ist auch die Geschichte der Medizin nicht ganz frei von seltsamen Ideen. Z. B. das Einreiben der Haut mit Quecksilber zur Heilung von Syphilis war bs ins beginnende 20. Jht. ein Standardverfahren. Für die Lobotomie gab es 1949 den Nobellpreis…

    Ich hoffe, das ist OK das Thema auch ein wenig anders zu betrachten. 😉

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    1. Mela Eckenfels

      Die Prüfung zum HP ist, angesichts der Rechte die man danach hat, extrem einfach. Ich habe mich mit sehr vielen HP unterhalten, denen leider völlig die naturwissenschaftlichen Grundlagen abgingen, die keine Ahnung von Basisfunktionen des Körpers haben aber dennoch Nadeln in diesen stecken dürften. Denn doch, auch einige invasive Prozeduren sind erlaubt. Nur so konnte es überhaupt zu den Todesfällen in Brüggen kommen.

      Und genau das habe ich im Artikel angesprochen: wenn das Argument FÜR Heilpraktiker ist, dass die Medizin auch nicht ohne Probleme war, dann ist das kein gutes Argument. Denn die Medizin hat sich weiterentwickelt und es gibt funktionierende Kontrollmechanismen. Heilpraktiker haben sich nicht weiterentwickelt und es gibt keine Kontrollmechanismen.

      Du hast das Thema nicht ‚anders betrachtet‘ sondern wiederholst alle Punkte, mit denen ich mich ausführlich beschäftigt habe.

      Reply
      1. Raphael

        Na ja, vielleicht werden wir damit leben, dass Du HPs ablehnst und ich nicht. Ich hoffe, das ist OK soweit. Weil generell geht es mir halt beim Bloggen auch darum, dass man diskutiert und auch andere Meinungen zulässt. Darin sehe ich jedenfalls den großen Vorteil von Bloggen, im Unterschied zu „Sozialen Medien“ wo es halt extrem schnell zu Polarisierungen kommt.

        Und da ich eigentlich an Deinen Kernthemen (also Neurodiversität) interessiert bin, schlage ich vor, dass wir das Thema HP einfach mal so stehen lassen.

        Reply

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