Anatomie eines Gaslightings: … und so dankst du es mir?


Über den Verlauf der beiden vergangenen Jahre, erfuhr ich, im engsten Freundeskreis, anhaltendes Gaslighting. Mit gravierenden Folgen für mein psychisches Wohlbefinden.

Da Gaslighting ein Problem ist, mit dem viele Autisten, aber auch Menschen mit ADHS, kämpfen und das für sie oft schwer zu erkennen ist, versuche ich über die kommenden Wochen Einzelsituationen zu benennen und zu analysieren, um anderen zu helfen, destruktive Muster in Partnerschaften, Freundschaften oder familiären Zusammenhängen schneller und besser zu erkennen.

Die Protagonisten:

GL: Der Gaslighter

Anna: eine Person, die Gaslighting erlebt.

Der ungefähre Ablauf:

Anna: „Meine Schuhe kneifen grauenvoll. Die sind zwei Nummern zu klein.“

GL: — enttäuscht oder vorwurfsvoll klingend — „Dabei haben wir dir doch kürzlich erst drei Paar Hosen und zwei schicke Kleider gekauft, das war dann wohl ganz umsonst?“

Anna: „Was? Wie? Natürlich nicht! Die Sachen waren wundervoll. Das habe ich doch schon gesagt, wie sehr es mir geholfen hat …“

Analyse:

Die kneifenden Schuhe stehen hier als Symbol für ein wie auch immer geartetes zwischenmenschliches Problem, zwischen Anna und dem Gaslighter. Drei Hosen und zwei schicke Kleider stehen als Symbol, für einen positiven Aufwand des Gaslighters, zu Gunsten von Anna. Dieser Aufwand kann materielle Natur haben, oder auch aufgewendete Zeit oder Aufmerksamkeit bedeuten. Der Aufwand steht im weiteren Kontext der Sache, die nun die zwischenmenschlichen Probleme auslöst, hat aber nicht direkt etwas mit dem Problem oder einer möglichen Lösung des Problems zu tun.

Gaslighting ist ein Versuch eine Situation und die Personen in dieser Situation so zu manipulieren, dass der Gaslighter die Kontrolle behält.

Gaslighting ist ein Versuch eine Situation und die Personen in dieser Situation so zu manipulieren, dass der Gaslighter die Kontrolle behält.

Gaslighting funktioniert nur dann sehr gut, wenn entweder ein Vertrauensverhältnis besteht oder ein Abhängigkeitsverhältnis. Wenn nicht schon ein ungleiches Machtverhältnis besteht, versucht der Gaslighter eines herzustellen. Besteht bereits eines, versucht er es zu stärken und zu vertiefen.

Gaslighting arbeitet sowohl mit Verwirrung, mit dem die Person, die das Gaslighting erfährt, aus der Bahn geworfen wird, als auch mit Mitteln, die herausstellen, dass die Person dem Gaslighter etwas schuldig ist.

Dankbarkeit ist ein starkes Motiv, ein starker Hebel, mit dem eine Person manipuliert werden kann. Deswegen wird gerade Dankbarkeit, bzw. angebliches Fehlen von Dankbarkeit, in manipulativen, destruktiven Beziehungen gerne als Druckmittel eingesetzt.

In diesem Fall wechselt der Gaslighter nicht nur einfach das Thema, um von einem unangenehmen Problem, über dessen Lösung er weder nachdenken will, noch überhaupt dessen Existenz anerkennen, zu einem, in der Vergangenheit liegenden, positiven Aufwand den er für Anna betrieben hat.

Während er das Gespräch vom eigentlichen Thema weg steuert, erinnert er Anna, was er alles für sie getan hat. Sie ist ihm also etwas schuldig. Mindestens Dankbarkeit. Außerdem suggeriert er, dass er derartigen Aufwand ja nicht mehr zu betreiben braucht, wenn Annas Schuhe trotzdem weiterhin drücken.

Auch wenn dieser Aufwand nichts, oder wenig mit dem aktuellen Problem zu tun hat und eine Lösung durch das Ablenken verzögert oder ganz verhindert wird. Anna wird weiter mit kneifenden, zu kleinen Schuhen herumlaufen, und früher oder später deswegen auch Probleme und ernsthafte Schmerzen bekommen.

Anna hat jetzt aber zusätzlich noch vier andere Probleme.

  1. Sie ist verwirrt, wieso das Gespräch diese Wendung genommen hat. Hat sie sich etwa unklar ausgedrückt? Sie wird unsicher in ihrer Kommunikation.
  2. Sie wird daran erinnert, dass sie dem Gaslighter etwas schuldet. Das Machtgefälle wird gestärkt. Ist Anna nicht einmal in der Position, etwas gleichwertiges zurückzugeben, kann sie den Ausgleich nur schaffen, in dem sie Probleme verschweigt und herunterschluckt, also dem Gaslighter keine Probleme bereitet. Es entstehen weitere Schuldgefühle, wenn die Probleme zu drückend werden, dass sie dem Gaslighter ’schon wieder Probleme bereitet‘.
  3. Anna befürchtet nun, dass sie in der Vergangenheit nicht genug gezeigt hat, dass sie den positiven Aufwand des Gaslighters zu schätzen weiß. Sie befürchtet, nun als undankbar wahrgenommen zu werden, sieht sich möglicherweise sogar selbst als undankbar an und hat Gewissensbisse.
  4. Anna muss annehmen, dass der Gaslighter es in der Zukunft für sinnlos halten wird, sie in irgendeiner Form zu unterstützen, weil er ja bereits zu verstehen gegeben hat, dass seine Mühen wohl nichts bringen. Sie muss also befürchten, dass der Gaslighter ihr in Zukunft nicht mehr entgegen kommen wird, wenn sie seine Hilfe braucht. Das ist besonders dann dramatisch, wenn der Gaslighter eine Rolle innehat, in der er verhindern kann, dass Anna überhaupt noch die, für ihr Fortkommen notwendigen, Ressourcen erhält.

 


Gaslighting entsteht durch viele derartige Einzelsituationen, die, jede für sich genommen, eigentlich nicht besonders problematisch wirken und die auch einfach auf einem Missverständnis oder Kommunikationsfoo basieren könnten. Erst, wenn man einen Schritt von den Einzelsituationen zurücktritt und sich beispielsweise die Häufigkeit oder die Art dieser „Mißverständnisse“ ansieht, wird das destruktive Muster klar.


 

 

 

 


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