Eine kleine Entscheidungshilfe zur Frage: Soll ich einen autistischen Charakter in meinem fiktionalen, literarischen Werk verwenden.
- Ich bin selbst Autist und mein Protagonist soll Autist sein.
Hm. Ja.
Auf der einen Seite gilt der Grundsatz „Schreibe über das, was du kennst“. Auf der anderen Seite sollte der Hauptprotagonist nicht unbedingt genau wie man selbst sein. Das führt gerne zu Problemen, die das Werk eher unleserlich machen. Oft wird aus dem literarischen Werk doch eher eine verkappte Autobiographie. Auch eine literarische Aufarbeitung des eigenen Lebens kann gut sein, aber schreibtherapeutische Werke eignen sich nicht immer für die Veröffentlichung. Manchmal ja, aber eben oft auch nicht.
- Ich bin Autor und kenne die Eltern eines autistischen Kindes. Mein Protagonist soll ein Autist sein.
Nein.
Wenn Sie die Eltern eines autistischen Kindes kennen, können diese ihnen nicht sagen, was Autismus ist und wie es in der Innenwelt eines Autisten aussieht. Auch Eltern betrachten das Ganze nur als Zuschauer. Sie sind nicht autistisch und sie können nur Mutmaßungen anstellen wie ein Autist fühlt oder ist.
Autisten haben Probleme, sich ihrer Umwelt mitzuteilen. Das gilt in verstärktem Maße für autistische Kinder. Sie können noch viel weniger als normale Kinder ausdrücken, was ihn ihnen vorgeht. Alle draussen sehen nur den Kokon, aber nicht den Schmetterling der sich darin entwickelt. Das Wissen ist ihnen nicht zugänglich.
Wenn Sie ihre Geschichte rein auf Basis von Elterninformationen entwickeln, tappen sie garantiert in alle Stereotyp-Fettnäpfchen die für unaufmerksame Autoren bereit stehen.
Reden Sie mit Autisten selbst und zwar Autisten die bereits erwachsen sind und Zeit hatten an ihrer Mitteilungsfähigkeit zu arbeiten. Reden Sie nicht nur mit einem Autisten, sondern mehr als nur einer Handvoll. Lernen Sie sie kennen. Nutzen Sie sie nicht als billiges Klischee.
- Ich bin Autor und kenne einen, der einen Autisten kennt.
Nein.
Erledigen Sie ihre Recherche und erledigen Sie sie gründlich. Es gilt der gleiche Rat wie zuvor: Reden Sie mit Autisten selbst und zwar Autisten die bereits erwachsen sind und Zeit hatten an ihrer Mitteilungsfähigkeit zu arbeiten. Reden Sie nicht nur mit einem Autisten, sondern mehr als nur einer Handvoll. Lernen Sie sie kennen. Nutzen Sie sie nicht als billiges Klischee.
- Ich brauche einen Charakter, der dauernd alles sortiert.
Herzlichen Glückwunsch zum Nachwuchs. Es ist ein Klischee.
Im Ernst. Es gibt Autisten, die haben auch eine Zwangsstörung. Die meisten aber nicht.
Um Reizüberflutung zu vermeiden, sind viele Autisten sehr ordentliche Menschen. Daraus zu schließen, dass alle Autisten sehr ordentliche Menschen sind, wäre grundlegend falsch.
Sie brauchen keinen autistischen Charakter, sie brauchen einfach einen, der dauernd alles sortiert.
- Ich brauche einen crazy Sidekick, der Mathe und Computer kann.
Schön. Dann schreiben Sie sich einen crazy Sidekick, der Mathe und Computer kann. Aber warum muß der auch noch Autist sein?
- Ich möchte einen Roman über die Welt der Autisten schreiben und dann nehme ich eine normale Protagonistin, die in einer Welt ohne Gefühle leben muß.
Ernsthaft? Zensiert zensiert zensiert Sie zensiert zensiert zensiert?
Jedenfalls sind Sie da auf ein paar ganz üble Klischees hereingefallen. Gehen Sie mal ans Fenster und sehen Sie hinaus. Dann sehen Sie die Welt, in der Autisten leben. Es ist die gleiche Welt, in der Sie ebenfalls leben. Es gibt keine autistische Welt und wenn es sie gäbe, wäre Sie nicht so sehr von der zu unterscheiden, die Sie kennen.
Wir sehen diese Welt nur vielleicht etwas anders als Sie. Schärfer oder schwächer. Lauter oder leiser. Heller oder dunkler. Farbenfroher oder grauer. Wie genau, das ist nicht bei zwei Autisten gleich.
Wir haben Gefühle und wir empfinden sehr intensiv. Danke der Nachfrage.
Nehmen Sie den zensiert und werfen Sie ihn weg.
- Ich möchte über einen autistischen Charakter schreiben, und dem Leser sein wirres Innenleben und krude Gedankengänge zeigen. Ausserdem irgendwas mit Sex, Sexualdelikten, Gewalt und Psychiatrie.
Nochmal: Ernsthaft? Also … Srsly? WTF? dafuq?
Entweder Sie sind da auf ein paar ganz üble BILD-Schlagzeilen und SPIEGEL-Artikel hereingefallen oder … Sie zensiert zensiert ein Zensiert.
Das Innenleben von Autisten ist nicht wirr, ihre Gedankengänge selten krude. Mit Gewalt, Sex und Sexualdelikten hat Autismus auch nichts zu tun. Das gibt es unter Autisten in etwa der gleichen Häufigkeit, wie in der Gesamtbevölkerung. Eher noch seltener.
Mit der Psychiatrie haben Autisten ebenfalls selten zu schaffen, es sei denn, sie erkranken zusätzlich zum Beispiel an schweren Depressionen.
Nur weil Sie die Andersartigkeit ihres Charakters irgendwie erklären müssen, ist es nicht sinnvoll einfach einen Begriff zu nehmen, die Sie aus einer BILD-Schlagzeile gefischt haben. Einfach Begriffe aus dem Diagnosehandbuch in den Text zu würfeln, macht ihren Charakter nicht interessanter.
Erledigen Sie gefälligst ihre Recherche oder gehen Sie zensiert.
- Sie wollen Autismus „philosophisch betrachten“.
Lassen Sie es einfach. Danke.
Danke, Mela! Mich nerven diese ganzen Klischees in Büchern und Filmen schon lange.
Danke. Danke! Danke.
Wow, ich hoffe, niemand verfasst so einen Leitfaden für Bücher mit Hunden, Frisören, Mördern, Frauen, Italienern u.ä. Dann gibts bald keine Bücher mehr…
Das Argument, dass es das Leben komplizierter macht, wenn man versucht auf Diskriminierung und Falschinformationen zu verzichten, ist natürlich ein ausgezeichnetes Argument für Diskriminierung und Falschinformation. Nicht.
Bezieht sich deine Antwort auf meinen Kommentar oder bist du nur irgendwie verrutscht? Wo schreib ich was von komplizierterem Leben durch Vermeidung von Diskriminierung? Vielleicht liest du einfach mal nur die Zeilen, anstatt etwas zwischen den Zeilen, was da gar nicht drinsteckt.
Ich vermisse in deinen Ausführungen den einen Aspekt, der es einem erlaubt, einen Autisten in einen Roman einzubauen. Möglicherweise, weil du offensichtlich der Meinung bist, dass Autisten in Büchern nicht auftauchen dürfen. Ich finde das etwas vermessen, denn die gleiche Forderung könnten dann auch Kleptomanen, Rothaarige, Schornsteinfeger für ihre Spezies stellen, weil außer ihnen ja doch niemand nachvollziehen kann, wie das ist, so zu sein. Romane sind in der Regel Fiktion und jemandem vorschreiben zu wollen, was er da zu schreiben hat, ist auch nicht viel schöner als Diskriminierung.
Wer seine Informationen über Autismus, Raumfahrt, Aktiengeschäfte usw. aus Romanen bezieht, sollte eh mal darüber nachdenken, ob es da nicht vielleicht bessere Quellen gibt.
Abgesehen von dem, was ich mehrmals oben erwähnt habe – also mit vielen Autisten sprechen – kann man einfach die üblichen Regeln für diskriminierungsfreie Charaktere anwenden.
Ein Autor muß sich schon fragen, warum er den unbedingt einen Autisten im Buch braucht. Wenn er die Frage nicht so beantworten kann, dass hinten kein Klischee rausfällt, wäre es gut einfach darauf zu verzichten.
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