Zwei Sätze – So viele Fehler


Der Jahrestag der Schießerei an der Sandy Hook Grundschule jährt sich. Es war klar, dass die Medien sich erneut auf das Thema stürzen werden und ebenso klar, dass es schmerzhaft werden würde.

RTL hat sich auch direkt  mal um die goldene Berichterstattungs-Himbeere beworben und dazu brauchte es nur zwei Sätze.

„Er [Adam Lanza] litt seit Jahren am Asperger Syndrom. Medikamente lehnte er jedoch ab.“
RTL

Persönlich halte ich die Asperger Diagnose weiterhin für nicht gut belegt, bzw. dass hier Hörensagen und Post Mortem Orakelei zusammenkommen. Besser belegt scheint eine Diagnose einer Sensorischen Integrationsstörung zu sein. Wahr ist, dass Probleme der sensorischen Integration durchaus auf das Autismusspektrum hinweisen. Aber: Viele Autismusblogger haben sich im vergangenen Jahr diesbezüglich ja schon die Fingerkuppen fusselig getippt. Autismus erklärt keinen Amoklauf. Deswegen hat er in der Berichterstattung ebensowenig zu suchen, wie beispielsweise eine Diabeteserkrankung. Nur weil es ‚etwas mit dem Kopf‘ ist, wird es noch lange nicht für die Berichterstattung relevant oder taugt als Erklärung. Um nochmal einen Fachmann zu Wort kommen zu lassen:

Experts say those with autism and related disorders are sometimes diagnosed with other mental health problems, such as depression, anxiety, bipolar disorder or obsessive-compulsive disorder. „I think it’s far more likely that what happened may have more to do with some other kind of mental health condition like depression or anxiety rather than Asperger’s,“ Laugeson said.
USA Today

Dennoch verbreitet auch RTL das einzig bekannte Label mit dem Adam Lanza belegt wurde und stellt es in einen Kontext, der einen Zusammenhang zwischen dem Asperger Syndrom und dem Amoklauf vermuten lässt. Schließlich, so erklärt uns RTL, ‚litt‘ Adam Lanza ja  ’seit einigen Jahren‘ daran. Als wäre Adam Lanza eines Morgens mit Asperger aufgewacht wie andere mit einem schlimmen Husten. Und selbst wenn man den Satz so interpretiert, dass er sich nur auf den Zeitraum des tatsächlichen ‚am Syndrom leidens‘ bezieht, nicht auf  Asperger an sich, wäre er falsch. Es gibt keinen Beleg, dass Adam Lanza sich selbst als leidend empfunden hat. Vielmehr scheint sein Umfeld auch schon vor der Tat an Lanza und seiner Andersartigkeit gelitten zu haben.

Aber RTL scheint tatsächlich etwas wie schlimmen Husten im Sinn gehabt zu haben, denn anders kann ich mir den Hinweis, dass Lanza Medikamente abgelehnt habe, nicht erklären. Auch der dümmste Journalist sollte durch kurzes Googlen zu der Erkenntnis kommen, dass es zwar sehr wohl Medikamente gegen Husten, aber keines gegen das Asperger Syndrom gibt

Was der RTL-Zuschauer nun an Erkenntnis durch den Beitrag gewonnen hat lautet: Adam Lanza brachte Kinder um, weil er am Asperger Syndrom litt und das hätte verhindert werden können, hätte er die Pillen dagegen genommen. Ergo: Asperger Autisten müssen nur ihre Pillen nehmen um gesund zu werden und normal zu sein.

Seit vergangenem Jahr trauen sich gerade junge Autisten, wegen derartiger Berichte, immer seltener offen mit ihrem Autismus umzugehen um in der Schule oder an Universitäten die benötigte Unterstützung zu erhalten. Deswegen danke RTL. Für gar nichts.

P.S. Auch ganz spannend wieviele Medien der Empfehlung nachkommen, den Attentäter mindestens nicht abzubilden und auch nicht zum Kern-Thema der Berichterstattung zu machen um zukünftige Attentate verhindern zu helfen. Nämlich keine.


8 Comments Zwei Sätze – So viele Fehler

  1. Alex

    Sehr gut. Nur ein Einwand. Du vermittelst ein wenig den Eindruck „Asperger war nicht die Ursache, sondern Depression oder eine andere psychische Störung.“. Nein, auch das nicht, und das macht es nicht besser. Ein solches Ereignis lässt sich nie nur mit einer psychischen Störung erklären. Da wiederum gehe ich als Depressiver auf die Barrikaden. Sowas kann man nur multikausal erklären.

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  2. Jens (katzenjens) Unterkötter

    Jeder, welcher eine Auffassungsgabe jenseits des Mainstreams hat, muss zwangsläufig als gefährlicher Freak dargestellt werden da er eine Gefahr für das System ist. Da allerdings Fortschritt nur durch Sicht ausserhalb von eingefahrenen Strukturen möglich ist, entwickelt sich die Zivilisation gerade um Jahrhunderte zurück. Es werden momentan Ängste geschürt, welche im Mittelalter nicht hätten schlimmer sein können. Anstatt Scheiterhaufen gibt es heute bessere Möglichkeiten um die Angst zu schüren. Jeder Freak kann ein potentieller Mörder sein.

    Beobachte Deinen Nächsten, falls er aus der Art schlägt, denunziere ihn. Die Presse hilft beim Aufspüren.

    Aspberger ist keine Krankheit oder gar Behinderung. Nein, es ist eine Stigmatisierung seitens des Mainstreams. Und ich finde es schade, wenn die Betroffenen es zulassen, sich in Schubladen einsortieren zu lassen. Und was RTL oder andere Pressefuzzis da versuchen, ist unerträglich!

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    1. Alex

      Na ja, so kann man natürlich alles, was unter dem Label Behinderung oder Krankheit läuft, von diesem Label befreien. Ich finde das nicht unbedingt hilfreich. Denn das negiert auch die leider nun mal gegebene Tatsache, dass Menschen, die – um es mal neutral zu sagen – bestimmte Eigenschaften haben, unter Umständen in bestimmten Bereichen Hilfe brauchen oder aus sich selbst heraus einen enormen Leidensdruck verspüren, und zwar ganz ohne dass die Gesellschaft diesen zwingend erzeugt. Nehmen wir das Beispiel Depression. Menschen mit Depressionen haben nun mal aus sich selbst heraus oft Gefühle von Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder gar Todeswünsche, und zwar völlig unabhängig von gesellschaftlichen Einflüssen. Wenn man deinen Satz da anwenden würde, hätte das zur Konsequenz, dass diesen Menschen dringend notwendige Hilfe verwehrt würde, weil sie ja nicht krank sind. Das wäre im schlechtesten Falle tödlich.

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  3. Jens (katzenjens) Unterkötter

    @Alex

    Depressionen sind eine Krankheit. Wie vieles andere auch. Daher deutest Du das gerade in eine Richtung, welche ich nicht meinte. OK, vergleichen wir das mal anders.Was ist Kleinwüchsigkeit? Ab wann gilt man als Kleinwüchsig? Das wird einfach irgendwo festgelegt und Basta.

    Viele, insbesondere Künstler, nehmen die Umwelt völlig anders wahr als der Großteil der Menschen. in diese Richtung wollte ich eigentlich zeigen. Davon abgesehen, Akzeptanz ist immer wichtig, egal ob Krankheit, Behinderung, „Anders sein“ usw.
    Man selbst UND die Gesellschaft muss es akzeptieren.

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    1. Alex

      Völlig richtig. Manche treiben das auf die Spitze, indem sie sagen, dass auch Schizophrenie nur eine andere Sicht der Welt ist. Man kann aber auch etwas als Behinderung ansehen und es akzeptieren, ohne es zu stigmatisieren. Wenn mir jemand sagt, dass er aufgrund von Asperger in bestimmten Bereichen Probleme hat und sich Hilfe wünscht, dann hilft es ihm nicht, wenn man ihm sagt, seine Asperger-Diagnose sei nur Stigmatisierung. Ich würde mich in dem Fall allein gelassen fühlen.

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      1. Mela Eckenfels

        Ich brauch hier gar nix mehr zu schreiben und lasse euch einfach mal weiter diskutieren. Ihr macht das schon. Vielleicht sollte ich nur ein Plugin für Kommentarbewertung installieren, dass ich auf +1 klicken kann, wenn ich ein Argument gut finde. 🙂

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  4. Jens (katzenjens) Unterkötter

    @Alex

    Wir sind prinzipiell auf einer Linie. Thema Hilfe: Sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass man sich gegenseitig hilft. Egal ob es Krankheit, Sicht der Dinge oder was auch immer ist. Leider scheint es heutzutage die Ausnahme zu sein. Ich bin übrigens durch meine Hilfsbereitschaft anderen gegenüber nach einigen Jahren Beschwerdefreiheit wieder in Depressionen zurückgefallen. Für mich sind die Depressionen ein sekundäres Problem. Aber das soll hier in diesem Beitrag nicht Thema sein. Ich hasse halt nur die Schubladen, wo immer wieder gerne einsortiert wird. Und diese Schubladen ändern sich auch dauernd. Als jemand, welcher knapp 50 Jahre leidet und regelmäßig in verschiedene Schubladen verfrachtet wurde, obwohl in mir alles gleich blieb, weiss ich wovon ich rede. 😉 In dem Sinne, Peace.

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