„De Ferze nauslosse“


Von Fürzen und Sprichwörtlichem.

Mein Freundeskreis war – Überraschung! – während meiner Kindheit eher überschaubar. Meine Eltern führten das auf unseren Wohnort zurück, der schwer zu erreichen und ebenso schwer zu verlassen war.

Das Haus lag etwas abseits im verbindenden Niemandsland zwischen zwei Dörfern{{1}} und der lange Weg vom Haus zur Straße endete ausgerechnet in einer Haarnadelkurve, die sogar für Erwachsene schwer einzusehen und gefährlich war. Für ein Kind ein unüberwindliches Hindernis. Verschärft wurde die Situation noch dadurch, dass es auf der Seite unseres Gründstücks nicht mal einen Gehweg gab. Von einem abschüssigen Fußweg trat man direkt auf die gepflasterte Straße. Durch Erde rechts und links abgeschirmt hörte man ankommende Autos auch meist erst im letzten Moment. Noch bis ins Erwachsenenalter hinein verfolgten mich regelmässig Albträume, in denen ich bewegungslos in der Kurve ausharren musste, bis mich das ankommende Auto erreichte. Im Traum hörte ich es aber nur kommen und dann wachte ich jedesmal schweißgebadet auf. Und das, obwohl wir im Frühjahr vor meinem 8. Geburtstag von dort weggezogen waren.

Nicht unbedingt einladende Bedingungen für Freundesbesuch. Dabei war das Gelände ein Traum für Kinder. Über 1000 Quadratmeter verwilderter, alter Obstbaumbestand – mit einigen gruseligen Ecken, wie nur flüchtig mit Baumschnitt und Kompost aufgefüllten Granatentrichtern{{2}}.

Meine Großmutter lebte zwar mit uns im Haus, aber sie hielt sich, aus gesundheitlichen Gründen, immer wieder wochenweise bei meiner Tante auf. Das führte dazu, dass ich nach dem Kindergarten und später nach der Schule meist zu meinen Großeltern mütterlicherseits ging. Die lebten praktischerweise kaum 200 Meter von meiner Grundschule entfernt und waren vollkommen ungefährlich zu erreichen. Freundeshorden sind aber auch dort nicht aufgeschlagen.

Doch um endlich den Bogen zu finden, schräg gegenüber von meinen Großeltern wohnte eine Familie mit zwei Kindern, mit denen ich irgendwie befreundet war. Beide waren, soweit ich mich erinnere, etwas jünger als ich. Das Mädchen maximal zwei Jahre, der Junge etwas mehr{{3}}. Heute denke ich, ich verstand mich auch deswegen recht gut mit ihnen, weil sie – oder eher ihre Familie – auch irgendwie anders waren. Ihre Verwandschaft war riesig und wenn sie Geburtstag hatten, gab es zwar immer tolle Torten, aber statt Spielzeug bekamen sie allen Ernstes „Aussteuer“ geschenkt. Das heißt erwachsene Menschen schenkten Kindern Teile eines  vermutlich 10.000 teiligen Service, bei dessen Dekor sich schon Ende der 70er Jahre jeglicher Geschmack unzeremoniell von der nächsten Brücke gestürzt hätte{{4}}. Ausserdem besassen die beiden eine umfangreiche Kollektion Lego und Playmobil. Etwas, für das bei uns damals kein Platz im Familienbudget war.

Die Geschwister teilten sich ein Kinderzimmer und das war durch eine halbe Wand in einen Schlafbereich und einen Spielbereich aufgeteilt. Eines Tages stand ein Familienbesuch bevor, bei dem ein Teil der Familie von weiter her anreiste und für den die Kinder ihre Betten räumen und sie Verwandten überlassen mussten. Ich war gerade bei ihnen zu Besuch, als ihre Großmutter ins Kinderzimmer kam und mit den Geschwistern über dies und jenes, aber vor allem über den bevorstehenden Verwandtschaftsbesuch sprach. Sie ging mit ihnen die nötigen Vorbereitungen durch. Ich wohnte dem Gespräch passiv bei und beschäftigte mich lieber weiter mit dem Playmobil, bis mich eine Aussage der Großmutter aufmerken liess. Sie sprach davon, dass sie die Betten auslüften müssten um so „de Ferze nauszulosse„. Ich fragte, wie sie das denn meinte, und erhielt zur Antwort, Kinder würden nachts ins Bett furzen und die Furze müssten dann irgendwann herausgelassen werden.

Nun weiß ich nicht mehr, wie alt ich damals genau war, doch ich wusste bereits ganz genau, dass so eine Bettdecke keine hermetisch dichte Angelegenheit war, und auch, dass Fürze, selbst wenn sie über Nacht unter der Decke gefangen sein sollten, spätestens dann entweichen würden, wenn man morgens die Decke beiseite schlägt. Also fing ich an zu diskutieren, weil die Tätigkeit des „Fürze hinauslassens“ für mich einfach keinen Sinn ergab.

Bis ich begriff, dass es ein Scherz war – und die Großmutter begriff, dass sie mir das so direkt und ohne weitere Scherze und Umschreibungen erklären musste – waren alle drei mit ihren Nerven ziemlich am Ende. Und ich auch.

 

[[1]]Verwaltungstechnisch gesehen nur ein Ort, da die kleinere, angrenzende Ortschaft längst eingemeindet war. Aber eingemeindet bedeutet noch lange nicht zusammengewachsen.[[1]]

[[2]]Das Gelände lag direkt gegenüber einer kriegswichtigen Eisengießerei.[[2]]

[[3]] Auch hier zeigt sich das Muster, dass ich meist mit Kindern etwas anfangen konnte, die jünger waren als ich, oder solchen, die deutlich älter waren.[[3]]

[[4]]Und ich finde dieses Bild jetzt nur leicht übertrieben.[[4]]


3 Comments „De Ferze nauslosse“

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  2. Jali

    Die Geschichte finde ich aber irgendwie süß.
    Die Großmutter hat bestimmt gar nicht über den Spruch nachgedacht, bis Du sie danach gefragt hast.

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