Zum Konflikt zwischen autistischen Selbstvertretern und der GWUP


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Seit einigen Monaten schwelt ein Konflikt zwischen Autisten und der GWUP. In dessen Verlauf weigerte man sich mit Autisten zu sprechen. Das hielt Mitglieder der GWUP aber nicht davon ab, laut und öffentlich über Autisten zu reden . Da das Thema sehr wahrscheinlich auch im Verlauf der kommenden Skepkon Gespräch sein wird, möchte ich die Zeit nutzen, kursierende Behauptungen in Perspektive zu setzen.

Zu den Behauptungen, die u. a., aber nicht nur, auf Twitter kursieren, gehören: 

  • es handele sich um eine koordinierte Aktion gegen die GWUP
  • bei den beteiligten Autisten handele es sich um »Selbstdiagnostizierte«
  • bei den beteiligten Autisten handelte es sich um Menschen, die ihre Diagnose zu Unrecht erhalten haben
  • es würden sich auch Autisten für ABA aussprechen
  • sogar andere Autisten würden sagen, dass wir ihnen schaden
  • es ginge den beteiligten Autisten nur um Aufmerksamkeit
  • wir nähmen uns zu wichtig
  • die beteiligten Autisten seien »PoMos«
  • die beteiligten Autisten seien »Aktivisten«
  • die beteiligten Autisten würden keine Hilfe brauchen
  • die Vorwürfe seien haltlos
  • ABA sei wissenschaftlich
  • Eltern wollten ABA und Eltern wollen ihre autistischen Kinder nicht akzeptieren, wie sie sind
  • die beteiligten Autisten seien »Schwurbler«.

Behauptung: Es gäbe eine koordinierte Aktion gegen die GWUP

Zu keiner Zeit gab es eine koordinierte Aktion »gegen« die GWUP. Es gab auch zu keiner Zeit das Ziel, die GWUP in irgendeiner Weise zu beschädigen — das hat sie selbst getan. 

Was wir von der GWUP wollten, ist eine interne Beschäftigung mit dem Thema, warum eine Person, die ABA als Behandlung bei Autismus propagiert im wissenschaftlichen Beirat sitzt.

Sowohl ABA als auch die ganze Richtung des Behaviorismus haben sowohl ein Evidenz- als auch ein ethisches Problem. Auch wissenschaftstheoretisch lässt sich einiges an ABA kritisieren. Entsprechend fragwürdig ist die Besetzung einer zentralen Position durch einen Vertreter dieser Strömung in einem Verein, der der Selbstdarstellung zufolge für Wissenschaftlichkeit steht.

Behauptung: Selbstdiagnosen

Meines Wissens besitzen alle an der Diskussion teilnehmenden Autisten eine formale, fachärztliche Diagnose und sind bereits seit Jahren, in einigen Fällen deutlich über ein Jahrzehnt, in der Selbsthilfe aktiv.

Bei an der Diskussion beteiligten Nichtautisten handelte es sich mehrheitlich um Eltern autistischer Kinder und interessierte Personen.

Bei »SelfDX« handelt es sich um eine Bewegung von Menschen, die sich, basierend auf ihrer Selbsteinschätzung und anhand der Beschreibung von Autismus, als Autisten identifizieren wollen. Viele der an der Diskussion mit der GWUP beteiligten Autisten haben sich in der Vergangenheit aus verschiedenen Gründen gegen Selbstdiagnosen ausgesprochen.

Unter anderem, weil es sich bei Autismus in erster Linie um eine Behinderung handelt, die fachärztlich festgestellt wird. Die zwar identitätsstiftend sein kann, aber nicht in erster Linie eine Identität ist.

Ich nehme mir zum Beispiel das Recht heraus, mich selbst zu vertreten und in der öffentlichen Debatte durch mich selbst und andere Autisten vertreten zu werden. Daher möchte ich, dass sich nicht formal diagnostizierte Personen in der Selbstvertretung nicht in die erste Reihe stellen.

Auch kritisieren wir die Idee, eine Person könne qua Definitionsmacht selbst beschließen, Autist zu sein. Ob jemand Autist ist oder nicht, ist eine unabänderliche neurologische Tatsache. Es gibt klar definierte Diagnosekriterien, die erfüllt werden oder nicht.

Ich und Autisten, deren Ansicht ich bei diesem Thema teile, erkennen jedoch an, dass einer formalen Diagnose eine Phase der Suche und Selbsterkenntnis vorausgeht. Um sich in dieser Phase selbst zu verorten, kann zum Beispiel der Begriff »Verdachtsautist« hilfreich sein.

Behauptung: Fehldiagnosen

Dies wird zumeist von Menschen behauptet, die entweder keine fachärztliche Ausbildung haben oder, wenn doch, die Autisten, über die sie diese Behauptung treffen, zu keinem Zeitpunkt einer Diagnostik unterzogen oder als Patienten betreut haben. Was sie wahrnehmen ist das öffentliche, nicht selten rein schriftsprachliche Auftreten dieser Autisten.

Als Argument eine Diagnose abzusprechen, dienen — unter anderem — Behauptungen wie eine gute schriftliche Ausdrucksfähigkeit, die Fähigkeit eine längere Diskussion verfolgen zu können oder sogar: viele Follower zu haben.

Abgesehen davon, dass Autismus hoch-individuell ist und nicht jede diagnostizierte Person mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, zeigen die Behauptungen ein einseitiges und voreingenommenes Verständnis von Autismus.

Verbale Autisten besitzen sehr häufig ein deutlich besseres (schrift-)sprachliches Ausdrucksvermögen als von Nichtautisten angenommen. Hans Asperger beschrieb eine pedantische, altersunangemessene (lies: zu erwachsene) Ausdrucksweise.

Autisten fällt eine direkte, verbale Kommunikation vor allem dann schwer, wenn zu viele Eindrücke, wie Mimik, Gestik und Tonfall zusätzlich zur Information zu verarbeiten sind. Schriftliche Kommunikation aber kommt Autisten entgegen .

Zudem gibt es den autistischen Hyperfokus, wenn Autisten ein Thema sehr wichtig ist, als auch die Möglichkeit, im Internet zeitversetzt und Ruhe lesen und reagieren zu können.

Das, und schlicht Training, sollte hinreichend erklären, dass sich Autisten schriftlich gut ausdrücken und längeren Diskussionen folgen können.

Die Behauptung, dass Autisten nicht in der Lage wären, andere Menschen zu interessieren und hohe Followerzahlen gegen die Diagnose sprächen, ist schlicht und ergreifend Behindertenfeindlichkeit.

Akzeptiert wird anscheinend nur, wer still ist und genügsam im Schatten der Gesellschaft existiert.

Davon ab muss die Wissenschaftlichkeit von ABA für sich selbst stehen können. Wenn ABA-Interessenvertreter es nötig haben, kritisierende Menschen ad hominem und ad personam anzugreifen, in dem sie ihnen Authentizität absprechen, statt auf der Sachebene zu argumentieren, wird es für diese Taktik einen Grund geben.

Behauptung: Es sprächen sich auch Autisten für ABA aus

Das ist zutreffend, denn auch Autisten sind keine homogene Gruppe, die immer und überall der gleichen Meinung sind. Es gibt Autisten, mit einem hohen Leidensdruck, die nicht selten in einem Umfeld existieren müssen, dass ihnen keine Akzeptanz entgegenbringt. Sie und andere finden daher den Gedanken, sich Autismus irgendwie abtrainieren zu können, durchaus ansprechend.

Dem ungeachtet ist die Frage, ob ABA von einer Organisation wie der GWUP kritiklos beworben werden sollte, keine Frage des »Dafür« oder »Dagegen« und Kritik an ABA wird auch nicht invalide, sobald man einen Autisten gefunden hat, der die eigene Ansicht bestätigt. Wissenschaft ist kein Beliebtheitswettbewerb.

ABA als Methode muss sich beweisen — dass sie wirksam, angemessen, effektiv und ethisch vertretbar ist.

Behauptung: Auch andere Autisten sagten, dass ABA-ablehnende Autisten ihnen schaden würden

Erneut: Autisten sind keine Gruppe mit einheitlicher Meinung und so lassen sich andere und auch extreme Positionen durchaus finden. Was der Twitter-Account, der diese Behauptung tätigte, allerdings nicht offenlegte, ist, dass die Behauptung aus der »SelfDX«-Bewegung stammt, die durchsetzen wollen, dass ihre eigene Einschätzung ungefragt als einer fachärztlich gestellten Diagnose gleichwertig akzeptiert wird. Während viele der an der Diskussion mit der GWUP beteiligten Autisten darin einen Bruch des Rechts auf Selbstvertretung sehen.

(Siehe auch »Behauptung: Selbstdiagnosen«)

Behauptung: Es ginge nur um Aufmerksamkeit

Leider hat die GWUP es versäumt, das Gespräch zu suchen oder zu öffnen, als sie auf das Problem angesprochen wurde. Ignoriert werden sorgt für Frust und Frust sorgt dafür, dass man seinem Frust Ausdruck verleiht. Autisten haben ihrem Frust öffentlich Ausdruck verliehen und das zog Kreise, bis auch an sich nicht betroffene Menschen begannen Fragen zu stellen. Diese Dynamik hat die GWUP im Endeffekt durch ihre Blockadehaltung selbst angetrieben.

Dass es den beteiligten Autisten ausschließlich um persönliche Aufmerksamkeit gegangen wäre, ist ein weiteres Argumentum Ad Hominem. Es geht um Aufmerksamkeit für das Thema.

Behauptung: Wir nähmen uns zu wichtig

Ja, ich nehme das bei Autismus vorherrschende Problem pseudomedizinischer Geschäftemacherei sehr ernst und finde meine eigene Initiative dagegen auch sehr wichtig. Meiner Erfahrung nach sehen das andere Autisten ähnlich. Zu viele Eltern probieren mit ihren Kindern alles durch, was irgendwann irgendwo als Mittel gegen Autismus behauptet wurde. Das Leid, dass durch solche Pseudotherapie-Odysseen entsteht, ist nur schwer zu fassen und negative Spätfolgen kaum zu bemessen.

Meme: Eine Hulk-Figur steht als Schutz zwischen einem Bündel mit "harmful misinformation about autism" beschrifteten Spaghetti und einer Figur, die ein autistisches Kind  symbolisiert.

Es verwundert aber, dass die GWUP die Arbeit gegen Methoden, die in Metastudien wieder und wieder durchfallen, sofort dann für unwichtig hält, wenn ein Interessenvertreter im wissenschaftlichen Beirat sitzt.

Behauptung: Die beteiligten Autisten seien »PoMos«

»PoMo« ist eine Abkürzung für postmoderne Philosophie, eine Denkrichtung, deren Gemeinsamkeit in der Kritik an den Errungenschaften der Moderne liegt. Postmoderne Denker lehnen die Standards der Wissenschaft, Logik und Objektivität ab. Sie sagen, moderne Wissenschaft hätte keinen größeren Wahrheitsanspruch als Gefühl und Intuition. Soweit die Theorie.

Die Autisten, die von der GWUP als »PoMos« betitelt werden, tragen Studien, Logik und Argumente an die GWUP heran, und erfahren im Gegenzug Angriffe unter der Gürtellinie. Es erscheint, als würde der Begriff vorwiegend denunziatorisch verwendet, ohne zu wissen, wofür er steht.

Als wolle die GWUP das Thema als Teil eines Kulturkampfs definieren und diskreditieren.

Behauptung: Die beteiligten Autisten seien Aktivisten

Die beteiligten Autisten sind Selbstvertreter und als solche natürlich Aktivisten in eigener Sache. Es gibt dafür noch einen anderen Begriff: Patientenvertretung.

Patientenvertretungen sind eine Instanz, die für besseren Konsumentenschutz in der Medizin sorgen soll. Konsumentenschutz ist, meines Wissens, ein erklärtes Ziel der GWUP.

Auch bei der GWUP handelt es sich nicht um ein wissenschaftliches Institut, sondern um einen Verein, der sich gegen Parawissenschaften einsetzt. Viele Mitglieder sind gegen die unterschiedlichsten Formen der Pseudowissenschaft und Pseudomedizin aktiv. Aktiv. Sie sind wortwörtlich Aktivisten.

Warum Aktivismus als Selbstvertreter gegen eine Auseinandersetzung auf Sachebene sprechen soll, bleibt rätselhaft.

Behauptung: Die beteiligten Autisten brauchten wohl keine Hilfe

Der Hilfebedarf von Autisten variiert je nach Ausprägung, Lebensalter, schulischen/beruflichen und familiären Umfeld zwischen nahe Null bis sehr hoch. Zu den Schwierigkeiten gehören neben der Kommunikation (von non-verbal bis verbal), die höheren Handlungsfunktionen, Emotionsregulation, Wahrnehmung und sensorische Verarbeitung und mehr. Man spricht auch von einem »unebenen Fähigkeitenprofil« .

ABA interessiert sich nur für das Verhalten und sucht dieses zu modifizieren. ABA-Therapeuten interessieren sich — erklärtermaßen — nicht für die Ursachen des Verhaltens oder für zugrundeliegende Probleme . Wer tatsächliche Probleme ignoriert, sondern nur die Reaktion darauf modifizieren möchte, bietet keine Hilfe an, diese nachhaltig zu lösen.

Wir benötigen Hilfe, die tatsächlich hilfreich ist und nicht als Hilfe verpackten Aktionismus.

Um die Frage der Wissenschaftlichkeit von ABA zu klären, ist eine persönliche Betroffenheit nicht nötig. Einer Debatte auf Sachebene wird auch mit dieser Behauptung ausgewichen.

Behauptung: Die Vorwürfe seien haltlos

Wenn sie das sein sollten, könnte man das in einer Diskussion auf Sachebene klären. Dieser wird aber ausgewichen und stattdessen verlegt man sich auf ad hominem Argumente.

An einer fehlenden Vorlage kann es nicht liegen. Es gibt ein ausführliches Positionspapier und einem ebenfalls ausführlichen Kommentar wurde die Veröffentlichung im Vereinsmedium verweigert. Die Begründung: Er (der Kommentar!) sei nicht wissenschaftlich genug. Eine Forderung, die, soweit mir bekannt ist, zum ersten Mal für Kommentare erhoben wird und die auch nicht überzeugt.

Behauptung: ABA sei wissenschaftlich

Die Evidenz für ABA ist legendär schwach, der Publikations-Bias hoch (was man sogar selbst zugibt) , Interessenkonflikte und wissenschaftlich fragwürdiges Verhalten häufig . Auch Querverbindungen zu Pseudomedizin muss man nicht aufwendig suchen .

Darüber hinaus widerspricht ABA als Therapieform der UN Behindertenrechtskonvention. Die Argumente gegen ABA, die problematisch schwindsüchtige Evidenz, sind der GWUP wieder und wieder zur Kenntnis gebracht worden .

Einer Auseinandersetzung auf Sachebene wird ausgewichen, die Relevanz der Quellen (darunter u. a. Cochrane) wird pauschal abgesprochen.

Stattdessen verlegt man sich auf ad hominem und spricht uns die Fähigkeit ab, überhaupt wissenschaftlich denken und argumentieren zu können.


Bisher noch nicht in die Diskussion eingeflossen ist eine aktuelle Metastudie der Universität Münster. Erneut fand man lediglich minimale Effekte .

Behauptung: Eltern wollten ABA und Eltern wollten ihre autistischen Kinder nicht akzeptieren, wie sie sind

Eltern wollen auch Homöopathie. Daher könnte man nun ebenso gut die Globukalypse abblasen, mit den Schultern zucken und sagen »Aber Eltern wollen doch Homöopathie. Und wenn sie Homöopathie wollen, ist es ja egal, ob Homöopathie wirkt.«

Ja, Eltern wollen ABA. Das geht, ähnlich wie bei Homöopathie, auf Jahrzehnte Lobbyarbeit zurück. Lobbyarbeit, die unter anderem behauptete, Autismus läge wie eine Schale um einen nicht-autistischen Kern herum, die entfernt werden könne. Die aber einer Methode nutzt, die autistischen Kindern im Endeffekt beibringt, Reaktionen auf z. B. überwältigende Situationen zu unterdrücken, um vielleicht ein bisschen Ruhe zugestanden zu bekommen.

ABA trainiert Autisten darauf, nicht-autistisch zu wirken. Da die hinter ABA stehende Ideologie, die sich von Ergebnissen aktueller Forschung nicht irritieren lässt, behauptet, wenn das autistische Verhalten verschwände, sei auch der Autismus beseitigt, scheint damit das Ziel erreicht.

Selbst wenn ABA als Methode völlig harmlos wäre: Wie auch bei Homöopathie bleiben unrealistische und unehrliche Versprechen einer Methode nicht folgenlos.

ABA verhindert, was Autisten brauchen: Akzeptanz und Unterstützung.

Das Argument »Eltern wollen ABA« ist nicht das einzige Argument in der Debatte, das sich anhört, als könne es identisch in einer Diskussion über andere Arten von Pseudomedizin fallen.

Daher möchte ich vor allem die Menschen, die den Konflikt von der Seitenlinie aus verfolgen, anregen, darauf zu achten, ob, und wenn ja welche, typischen kognitiven Verzerrungen, Biases, Immunisation gegen Kritik und — schlicht — welche rhetorischen Tricks zum Einsatz kommen.

Und ob, sich selbst als Skeptiker bezeichnende Menschen, wirklich auf eine Weise argumentieren sollten, die jedem Impfgegner, jedem Homöopathie-Befürworter zur Ehre gereichen würde.

Zum Beispiel sei ABA eine seit Jahrzehnten etablierte, evidenzbasierte Methode. Aber, dass Metastudien aufdeckten, dass die bisherige Studienlage lediglich auf minimale Effekte verweisen würde, würde nicht bedeuten, dass ABA nicht wirksam wäre. Sondern nur, dass es noch nicht genug Evidenz gäbe.

Lasst uns also noch ein paar Jahrzehnte forschen.

Von wem kennen wir eine ganz ähnlich lautende Forderung noch? Ach. Genau. Homöopathen.

Behauptung: ABA-kritisierende Autisten seien Schwurbler

Von allen ad hominem Attacken, ist diese Behauptung, jene, die mit Abstand am fassungslosesten macht. Alle Autisten, die ich in den letzten Jahren kennengelernt habe, die sich gegen Pseudomedizin engagieren, erlebten wiederholt persönliche Angriffe, Verleumdungen, teils gar Bedrohungen der eigenen Person oder der Kinder. Alle mir persönlich bekannten Teilnehmer der Diskussion haben in den letzten Jahren aktiv gegen Pseudomedizin gearbeitet.

Fast immer geht es beim Thema Autismus auch um wirtschaftliche oder ideologische Interessen. Seien es Impfgegner, die Autismus als Schreckgespenst nutzen, um Eltern von Impfungen abzubringen oder sei es die MMS-Sekte um Jim Humble, die industrielle Chlorbleiche zum Autismusheilmittel erklärt.

Viele Autisten engagierten sich gegen Schwurbel wie Delphintherapien, Kamelmilch, das DAN!-Protokoll, MMS/CD, Nahrungsergänzungsmittel und Mikronährstoffe, GcMaf, Sauerstoffüberdrucktherapien, Chelation, Cannabis, Hyperthermie, Stammzellentherapie, Kraniosakraltherapie, Neurofeedback, gegen Impfgegner oder Homöopathie .

Sie haben recherchiert, aufgeklärt, gegen Pseudomedizin angeschrieben, versteckte Veranstaltungen publik gemacht und medizinische Kindesmisshandlung zur Anzeige gebracht. Dafür wurden Autisten beleidigt, zu Pharmatrollen erklärt, mussten sich körperlich bedrängen oder heimlich fotografieren lassen oder wurden gestalkt.

Immer wenn sich Autisten in die Recherche verbissen haben und hinterher Ergebnisse lieferten, die es ermöglichten Quacksalber und Schlangenölverkäufer zu packen, hat man die Ergebnisse gerne in der Skeptikerszene angenommen und damit gearbeitet.

Immer wieder auch, ohne die Arbeit der, teils namenlos bleibenden, Helfer im Hintergrund auch nur zu erwähnen, während man die Lorbeeren einstreicht.

Doch kaum messen Autisten eine Organisation der Skeptikerszene an den Standards, die die Szene selbst für andere setzt, erfahren wir genau die gleiche Behandlung, die wir bereits von der Pseudomedizinszene erfahren haben: ad hominem, herablassendes Verhalten und Verleumdungsversuche.

GWUP: Verspieltes Vertrauen

Das Thema ABA in der GWUP war und ist für die Autisten, die sich an der Diskussion beteiligt haben, bzw. sie angestoßen haben, kein irrelevantes. Die Autismuscommunity setzt sich seit über einem Jahrzehnt gegen Pseudotherapien und Pseudowissenschaft ein.

Mit Autismus, der Panik, die damit geschürt wird, mit angeblichen Heilmitteln und vorgeblich wirksamen Therapien, werden lukrativen Geschäfte auf dem Rücken der Eltern autistischer Kinder und erwachsener Autisten gemacht .

Um dagegen vorzugehen, haben Autisten in der Vergangenheit mit Menschen aus der Skeptikerszene und Mitgliedern der GWUP zusammengearbeitet, waren teils selbst Mitglied in der GWUP.

Zu einer vertrauenswürdigen Zusammenarbeit mit der Skeptikerszene gehört, dass wissenschaftliche Prinzipien konsequent angewendet werden und nicht nur dann, wenn die Gegenseite leicht zu identifizieren ist. Dazu gehört, dass man sich für gute Wissenschaft auch beim Thema Autismus einsetzt.

Wenn man zwar gerne gegen Impfgegner oder MMS-Jünger vorgeht, sich derweil aber — in einer wichtigen Organisation der Szene — den tatsächlichen Stand der Wissenschaft nicht mal kritisch ansehen will, weil ein Interessenvertreter im wissenschaftlichen Beirat sitzt, kann man nicht von sich behaupten, für hilfreiche, wirksame und ethisch vertretbare Therapien und gegen Pseudomedizin bei Autismus einzutreten.

Wenn die Aufforderung zur sachlichen Auseinandersetzung mit ad hominem beantwortet wird, und wilde Behauptungen über beteiligte Menschen, in die Welt gesetzt werden, wenn der Verein dieses Verhalten geschehen lässt und mitträgt, lässt es jede Integrität vermissen.

Mit dem Verhalten gegenüber Kritik von Autisten hat die GWUP jedes Vorschussvertrauen verspielt und ist zum Verfechter der »autism-specific low standards« der Autismusforschung geworden, wo persönliche Kontakte schwerer wiegen als Evidenz.

Verweise

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1 Comment Zum Konflikt zwischen autistischen Selbstvertretern und der GWUP

  1. Viktualia

    Danke für deine Zusammenfassung.

    „Welche rhetorischen Tricks zum Einsatz kommen.“ – Ich möchte was zu den „PoMos“ ergänzen.
    (Ich bin keine Autistin, sondern eine Ergotherapeutin, habe zwar wenig Erfahrung mit Kindern oder erwachsenen Autisten, aber lange in der Psychiatrie gearbeitet.)

    Ich finde es absurd zu behaupten, die (neurologischen, also Sinnes-) Eindrücke eines autistischen Patienten in die Behandlung einzubeziehen sei nicht absolut wichtig sondern höchstens „nett“ dem Patienten gegenüber.
    Es ist (für mich) normale Professionalität, die Sinne/Empfindungen nicht mit Gefühlen/Gedanken gleichzusetzen, aber beide berücksichtigen zu können.

    „PoMo“ – Wenn behauptet wird, die Ablehnung von ABA sei ein Aspekt des Konstruktivismus (man wolle eigene Vorstellungen gegen die Realität ausspielen), so ist das in meinen Augen eine reine Schuldumkehr.

    Autisten wollen ihre körperliche Realität anerkennen, ABA nicht.
    Nicht Autisten fordern eine Transition, sondern ABA.

    ABA postuliert, eine „Transition“ sei nötig, um ein „richtiger“ Mensch zu sein – als ob die Rolle wichtiger sei als das Zurecht kommen mit dem eigenen Körper.

    ABA versucht, die eigene Sprachmacht über die körperliche Realität der behandelten Körper zu stellen.
    (Wie früher, als Jungs noch strenger erzogen wurden, um „richtige Männer“ aus ihnen zu machen, die Frauen – und Gefühlen – überlegen sind. Grauenhaft.)

    ABA leugnet die Realität, in der die Sinnesleistungen, also „reale Erfahrungen“ – und nicht nur „Trotz“ – das Verhalten (aller Menschen!) formt.

    Was mich persönlich richtig sauer macht, ist dass der Ursprung der GWUP mal darin lag, „Zaubertricks zu entlarven“ – als ob es genau da nicht eine Nähe zum Behaviorismus gäbe: der Beeinflussbarkeit des Menschen und der dazu nötigen Techniken.
    („Verhalten“ auf Gier nach Belohnung und Angst vor Strafe zu reduzieren schließt „Vernunft“ doch aus. Wo ist die „Aufklärung“ abgeblieben?)

    Ich unterstelle dem Herrn B. (mit seinem Fokus auf „Arbeitsschutz“) keinen bösen Willen, er arbeitet mW. ja auch nicht als Therapeut.
    Aber was dabei rauskommt ist wie eine Fabrik, in der nur die Vorarbeiter (Therapeuten) überhaupt Zugang zu „Schutzanzügen“ haben, während die Arbeiter (Klienten) ohne Schutz buchstäblich die „Kastanien aus dem Feuer holen“ (RW) sollen.

    Es geht nicht um „ein weißes Blatt“, es geht um Entwicklungspsychologie – um Denken zu können, muss die Wahrnehmung erst angemessen selektieren können – das heißt, die Sinnesleistungen müssen integriert sein.

    Was bei Neurotypischen den „Schutzanzug“ darstellt: dass man sich, nach erfolgreicher Integration der Sinnesleistungen, relativ frei entscheiden kann, worum man sich zuerst kümmert – und bei Kindern aus dem autistischen Spektrum das (neurologische Entwicklungs-) Problem:
    Sinnesleistungen, deren Integration den Handlungsspielraum einschränken.
    (Aus meiner Sicht beschrieben und stark verkürzt.)

    Ich sehe nicht, wo ABA den eigentlich Arbeitsauftrag erfüllt: Hilfe bei der neurologische Seite der Entwicklungsstörung zu bieten.
    Ich sehe nur, dass sie Belohnung und Strafe als „Ersatz“ für reale Erfahrungen postulieren.

    Ich hoffe, mich in meinem Ärger über dieses manipulative Eingreifen klar ausgedrückt zu haben; ich bin echt entsetzt über diese absurde Grausamkeit im „Namen der Wissenschaft“.
    Ich lass mir doch nicht erzählen, dass „die Sinne“ nicht zur Realität gehören würden, nur weil Sinnesleistungen immer subjektiv sind.

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