Die Hölle namens Shopping


Weil ich gerade dran denken musste. Schuhe kaufen. Das slow-burning Drama meines Lebens seit 1971.

Wenn die Schuhe zu klein wurden und ich ein neues Paar kaufte, ist meine Mutter mit mir in den Schuhladen vor Ort gegangen. D.h. einen der Läden vor Ort[1]Damals gabs noch mehrere, heute hält sich dort kaum noch ein Geschäft.

Schuläden sind erschlagend. So viel. So erdrückend. Aber kurz ging das.
Eine Verkäuferin vermaß meine Füße. Brachte ein paar Schuhe. Half mir sie anzuziehen. Drückte etwas vorne rum, ob sie genug Raum haben.

Und ich nickte, sagte dass die Schuhe passen und schön aussehen und wir gehen können.

Meine Mutter, jedes Mal: "Aber probier doch erst noch ein anderes Paar an."

😬

Beim zweiten Paar habe ich zu heulen angefangen, spätestens beim dritten Paar wurde es meiner Mutter peinlich. Wir haben dann das erste anprobierte Paar gekauft.
Immer.

Beim nächsten Mal: "Aber probier doch erst noch ein anderes Paar …"

Kleider kaufen war so früh kein Problem. Das konnte meine Mutter alleine erledigen. Nur zum Schuhe anprobieren musste ich ja mit.

Kleider kaufen wurde dann in der Teenager-Zeit ein Problem. Weil: ihr ratet es.

Mela: Die Jacke passt. Können wir gehen?
Mutter: Aber schau doch mal, die ist auch schön. Probier die doch nochmal an.
Mela: Ich mag die Jacke und sie passt.

Jedesmal, wenn wir vom Kleider kaufen heimkamen, waren wir beide fertig.

Ich vom Overload und weil ich irgendwann vor Überforderung nur noch heulte und sie, weil sie ihre Tochter so störrisch war und sich weigerte mehr Kleidungsstücke anzuprobieren, als bis zu exakt dem einen Moment, in dem eins passte und nicht zu doof aussah.

Eine Tochter, die die ganzen ‚hübschen‘ oder ‚modernen‘ Sachen nicht mochte. Keinen Aufdruck, keine Aufnäher, keine Straßsteinchen, keine Effektgarne …
Weil ich mir die Sachen nicht danach aussuchte, ob sie gut aussahen, sondern ob sie zu meinen anderen Sachen passten. Weil „bequem“ wichtiger war als „es sieht gut aus“. Weil es massiven Widerstand gegen Stoffarten gab, die vom Griffgefühl her nicht sofort behagten.

Eine Tochter, mit der man einfach nicht zum Spaß, zur Erholung, shoppen gehen konnte.

Irgendwann, mit 16 waren wir beide mürbe genug, dass ich alleine einkaufen gehen durfte. Ich bekam Geld, fuhr mit dem Zug in die Stadt und kam mit dem Bus zurück.

Ich habe einen Bogen um die großen und lauten Geschäfte gemacht. Habe bei den Kleineren durchs Schaufenster sondiert ob es sich überhaupt lohnt reinzugehen und teils rein die Auslagen vor den Läden angeschaut.

Es war Herbst, es würde kalt werden und ich brauchte dicke Pullis, was für drunter und eine Hose. Ich habe genommen, was mir zuerst ins Auge fiel und gefiel, anprobiert, bezahlt. Alles in mit nur 3 Läden erledigt und ausreichend um über den Winter zu kommen.

Nach dem entspanntesten Einkauf meines Lebens habe ich meiner Mutter die Hälfte des Geldes zurück gegeben. Die dann erst mal nicht glauben konnte, dass ich wirklich alles hatte, was ich brauchte. Tatsächlich hatte ich sogar mehr als das absolute Minimum. 🤷‍♀️

Danach gab es keine gemeinsamen Einkaufstouren mehr. Ich habs nicht vermisst.
#Autismus

Achja, es gab dann noch eine Entwicklung, aus dem ersten selbstständigen Klamottenkauf heraus. Das bis heute schwelende „aber das ist doch auch ein Aufdruck“.

Wie gesagt, ich wollte keine Klamotten mit Aufdrucken.

Mind: es waren die 80er.

80s 1980s GIF

Was es gab waren Aufdrucke in Fake-Chinesisch, Fake-Kanji, Fake-Kyrillisch. Oder einzelne Worte, Sätze, Halbsätze … alles völlig ohne jeden Kontext oder Bezug zum Kleidungsstück, zum Tragekontext. Es gab keine irgendwie verstehbare Verbindung.
Es wirkte auf mich sinnentleert. Unsinnig.

Dieses Unfass- und Verstehbare hat mich furchtbar kribbelig gemacht.

Die ganze Welt ist, Menschen sind, ein einziges großes Rätsel und dann packen die noch etwas oben drauf, das gar nichts bedeutet als eben „Design“, aber man sucht ständig die Bedeutung.

Auf besagter Klamottenkauftour war ich auch in einem, (damals) Dritte-Welt-Laden[2]nur wegen des zeitgeschichtlichen Kontextes. Ich weiß um die Problematik des Begriffs.. Dort hatte ich u.a. ein Shirt gekauft. Mein erstes ansatzweise ’nerdiges‘ Shirt.

Ich weiss nicht mehr welcher Slogan drauf stand, aber es war etwas, mit dem ich mich identifizieren konnte. Hinter dem ich stehen konnte[3]Ich habe das Shirt getragen, bis es irgendwann in seine Bestandteile zerfiel..

Seitdem:
"Nichts mit Aufdruck."
"Aber Du hast doch Sachen mit Aufdruck."
"Der bedeutet aber etwas."
"Ich sehe da keine Bedeutung."
"Leute die wie ich sind verstehen was es bedeutet."
"Aber du hast trotzdem Sachen mit Aufdruck!"
"…"

Originally tweeted by Mela Eckenfels (@Felicea) on 17. March 2021.


Fußnoten

Fußnoten
1 Damals gabs noch mehrere, heute hält sich dort kaum noch ein Geschäft
2 nur wegen des zeitgeschichtlichen Kontextes. Ich weiß um die Problematik des Begriffs.
3 Ich habe das Shirt getragen, bis es irgendwann in seine Bestandteile zerfiel.



1 Comment Die Hölle namens Shopping

  1. wortfeilchen

    Wunderbar! Nee, nicht die Sache an sich, sondern „Ich kenne das ganz genau“! Ich wollte und will nie shoppen. Weil es keinen Spaß macht und der ganze Tand sinnlos ist. Drei Läden sind sehr, sehr viel, für mich zu viel. Und ich hatte eine Erzeugerin, die bunt, immer mit Aufdruck, Steinchen, Glitzer, Pailletten etc. wollte. Für sich und für mich. Merci, Mela!

    Reply

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